Requiem
zielstrebig und ohne sich groß umzuschauen durch die restlichen Ausstellungsräume und kam am Ende des Rundgangs wieder im Foyer an. Er hatte Durst, und da es noch immer regnete, ging er hinüber in die Cafeteria. Er nahm sich ein Mineralwasser und ein Stück Apfelkuchen aus dem Kühlregal und orderte an der Kasse einen Cappuccino. Als er mit dem Tablett in der Hand nach einem freien Platz suchte, winkte ihn ein leicht untersetzter Mann in Rollkragenpulli und braunem Cordjackett an seinen Tisch. Es war David Rosenberg, Posaunist bei den Nürnberger Symphonikern und ein alter Bekannter von Beaufort. Die beiden waren sich in Erlanger Studientagen begegnet. Ihre gemeinsame Liebe zum Jazz hatte sie damals für kurze Zeit näher zusammengebracht. Doch die Versuche, ein eigenes Quartett aufzubauen, waren bald gescheitert. Ein paar Mal hatten sie sich später noch bei den Jam Sessions im Jazz-Keller getroffen und dort zusammen gespielt, aber ihr letztes Zusammentreffen lag mindestens drei Jahre zurück.
»Hallo, Frank, schön, dich mal wieder zu sehen! Magst du dich zu mir setzen?«
Die beiden Männer begrüßten einander freundlich, und Beaufort ließ sich an Rosenbergs Tisch nieder.
»Was machst du denn hier?«, fragte Beaufort. »Hier hätte ich dich nicht gerade erwartet. Das muss doch schmerzlich für dich sein, an diesem Ort.«
Mehrere Familienmitglieder Rosenbergs waren von den Nazis ermordet worden, weil sie Juden waren. Sein Vater hatte den Holocaust nur dank einer Odyssee durch halb Europa überlebt, war Anfang der 50er Jahre nach Deutschland zurückgekehrt und hatte hier seine Jugendliebe geheiratet.
»Schmerzlich? Nein. Das ist sogar eine Art Stammcafé von mir.« Beaufort sah ihn ungläubig an. »Hast du vergessen, dass unser Probensaal gleich gegenüber liegt? Das hier ist die schnellste Möglichkeit, um in den Arbeitspausen an einen halbwegs anständigen Kaffee zu kommen.«
Die Nürnberger Symphoniker waren seit Jahrzehnten im anderen Kopfbau der Kongresshalle untergebracht. Die meterdicken Wände waren ideal für ein Symphonieorchester und lautstarke Proben. Es gab sogar ein eigenes Tonstudio und ein Plattenlabel, das sich sinnigerweise Colosseum Records nannte. Und der mit Efeu berankte Innenhof diente im Sommer als lauschige Open-Air-Stätte, in der Region bekannt unter dem Namen Serenadenhof. Der Probensaal war erst vor kurzem zu einem richtigen Konzertsaal mit aufsteigenden Sitzreihen ausgebaut worden, in dem die kleineren Konzerte der Symphoniker stattfanden.
»Ihr habt an einem Sonntag Probe? Dann habt ihr es wohl ganz schön nötig mit dem Üben«, scherzte Beaufort.
»Danke, ich weiß auch, dass wir nicht die Berliner Philharmoniker sind«, sagte Rosenberg eine Spur empfindlich. »Nein, stell dir vor, wir haben zuletzt am Freitag geprobt. Aber in gut zwei Stunden ist Vorstellung, drüben in der Meistersingerhalle. Ich bin schon eher gekommen, weil ich gerade Musiker-Freunde aus meiner Zeit am Rostocker Theater zu Besuch habe. Und die wollten sich gerne die Ausstellung ansehen. Ich warte hier, bis sie fertig sind.«
»Was spielt ihr denn heute Abend?«
»Bruckners Siebte. Hast du Lust zu kommen?«
»Sei mir nicht bös’, aber Bruckner ist nicht grad mein Lieblingskomponist. Und für so ein langes Stück bringe ich heute sowieso keine Geduld mehr auf.«
Dann erzählte Beaufort von dem Toten, der auf halbem Wege zwischen hier und der Meistersingerhalle gelegen hatte. Der Vorfall interessierte Rosenberg; er stellte eine Menge Fragen, die Beaufort nur zum Teil beantworten konnte. Die beiden erörterten einige Mordtheorien, doch dann kamen die Bekannten des Musikers aus der Ausstellung, und gemeinsam brachen sie auf.
»Was macht eigentlich dein Piano?«, fragte Rosenberg schon im Gehen.
»Ich spiele jeden Tag.«
»Wollen wir nicht mal wieder zusammen Musik machen? Komm’ doch am nächsten Freitag in den Jazz-Keller, da ist wieder Jam Session für alle, die Lust haben mitzuspielen.«
»Ich werde es mir überlegen«, antwortete Beaufort und trank seine Tasse aus. Es war gleich sechs Uhr, und das Museum schloss in ein paar Minuten. Er fragte sich, wann Anne wohl mit ihrer Arbeit fertig sein würde. Gerade als er sich die letzte Gabel des etwas altbackenen Apfelkuchens in den Mund schob, klingelte sein Telefon.
»Hallo, Anne«, sagte er zärtlich und schluckte runter.
»Hallo, Frank, was machst du gerade? Schon wieder am Essen?«, fragte sie scherzhaft streng.
»Nur ein Stück
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