Requiem
Apfelkuchen. Schmeckt aber nicht besonders.«
»Warum isst du ihn dann? Außerdem hattest du doch gerade erst Gugelhupf von Frau Seidl.«
»Das ist mindestens schon drei Stunden her«, versuchte sich Beaufort zur rechtfertigen. »Bist du fertig mit deinen Beiträgen? Sehen wir uns noch?«
»In einer halben Stunde hab’ ich’s wahrscheinlich geschafft. Aber danach brauche ich erst mal Frischluft und Bewegung. Ich gehe noch ’ne Runde laufen. Kommst du mit?« Anne kannte seine Antwort schon im Voraus.
»Bei dem Regen? Nee, wirklich nicht.«
»Es könnte dir nicht schaden, ein paar Kalorien wegzuschwitzen. Oder willst du ein dicker Moppel werden?«
»Ich wüsste da noch ein paar andere Trainingsmöglichkeiten«, säuselte Beaufort ins Handy. »Wenn du mit dem Joggen fertig bist, könnten wir zusammen duschen.«
»Wenn ich mit dem Joggen fertig bin, ist es nach acht. Und ich will heute früh ins Bett.«
»Sag’ ich doch.«
»Um zu schlafen. Ich habe eine harte Woche vor mir. Und morgen früh fahre ich besser eine Stunde eher ins Studio, falls es schon neue Informationen über den Mordfall gibt.«
So hatte sich Beaufort seinen Sonntagabend nicht vorgestellt.
*
Ein heiserer Angstschrei drang an sein Ohr. Er schlug die Augen auf und sah einen blauen Lichtschein an der Decke. Tastend erwischte er seinen Wecker und hielt ihn sich vors Gesicht. Er drückte die Beleuchtungstaste und sah kurz die Uhrzeit aufflackern: Es war 3.30 Uhr, mitten in der Nacht. Sein Bett war zerwühlt, er war schweißgebadet. Mit einem langen Seufzer ließ er den Kopf ins Kissen zurückfallen. Hatte er geschrien? Bestimmt. Da war wieder dieser Albtraum gewesen. All diese Toten, die sich aus ihren Gräbern erhoben und verstümmelt und halb verwest dem gleißenden Licht entgegenwankten. Und er als einziger Lebender mitten unter ihnen, der sich verzweifelt die Ohren zuhielt, um diese schrecklichen Klänge nicht hören zu müssen, die ihn riefen. Bis der Boden unter ihm nachgab und er fiel und fiel …
Wieder schlug der Mann die Augen auf und starrte in die Dunkelheit. Er setzte sich ächzend auf die Bettkante, verharrte dort eine Weile unschlüssig und knipste die Lampe auf dem Nachttisch an. Er griff nach dem Rosenkranz, der dort bereitlag.
»Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes Jesu, der in uns den Glauben vermehre.« Er stand auf und betete leise murmelnd weiter. »Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes.« Vom Fenster aus sah er das blaue Licht der Aral-Tankstelle leuchten. Nur ab und zu fuhr ein einsames Auto auf der Hauptstraße unter ihm vorbei. In ein paar Stunden würde sich dort wieder der Berufsverkehr wälzen. Selbst als er sich an der Spüle ein Glas Wasser einlaufen ließ und es in einem Zug austrank, betete er. »Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist wie im Anfang so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.« Wie der Panther im Käfig kreiste er durch seine kleine Zweizimmerwohnung. Auch nachdem er den kompletten Rosenkranz gebetet hatte, fand er keine Ruhe. Immer wieder tauchten die Bilder dieses jungen Burschen auf, der seiner gerechten Strafe entgangen war, durch seine Schuld. An der Reckstange, die er im Türrahmen zum Schlafzimmer angebracht hatte, machte er 20 Klimmzüge. Das half ein wenig. Danach schüttelte er das Kopfkissen auf und legte sich wieder ins Bett. Er durfte jetzt nicht aufgeben. Der Plan musste weiter ausgeführt werden.
Tuba mirum spargens sonum
Laut wird die Posaune klingen
3. Kapitel: Montag, 22. April
Schwungvoll nahm Anne die Kurve und brachte ihren Golf haarscharf vor der rot-weißen Schranke zum Stehen. Die junge Aretha Franklin forderte mit so viel Power Respect , dass die Journalistin, animiert durch die Musik, heute Morgen etwas zu sportlich unterwegs war. Seitdem Bayern 1 Oldies liebte, hatte sie viel mehr Spaß an dem Programm. Zwar regte sich ein kleiner Teil der Hörerschaft über die Zunahme fremdsprachiger Titel auf, doch für Annes Geschmack war immer noch reichlich deutscher Schlager zu hören. Sie lächelte den Pförtner in seinem Häuschen entschuldigend an, der sie mit einem strengen Blick abstrafte, dann aber doch per Knopfdruck die Schranke öffnete und Anne auf das Studiogelände ließ. Gesittet und im Schritttempo fuhr sie nun durch die Allee des Nürnberger BR-Parks. Das
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