Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
Vom Netzwerk:
passte nicht mehr ganz so gut zur fetzigen Soulmusik, aber jetzt war es sowieso genau halb acht. Anne parkte ihren Wagen vor dem denkmalgeschützten Backsteingebäude, in dem der Hörfunk untergebracht war, und blieb im Auto sitzen, um die fränkischen Regionalnachrichten anzuhören.
    Am Mikrofon meldete sich Ina Pröls, zu der sie ein eher gespanntes Verhältnis hatte – die beiden waren mehr Konkurrentinnen als Kolleginnen. Ina machte zwar mit dem Toten auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände auf, doch las sie nur die Meldung vor und sendete Annes Einminüter dazu nicht. Stattdessen folgten ein Kurzbeitrag über das wahrscheinliche Aus für den Flughafenausbau in Hof sowie die Meldung eines schweren Verkehrsunfalls auf der A6 bei Feuchtwangen. Als Rausschmeißer berichtete sie über einen Wohnungseinbrecher in Buttenheim, der sich an der Hausbar einen solchen Rausch angetrunken hatte, dass er am Tatort schlafend von der Polizei festgenommen worden war. Den Wetterbericht wartete Anne nicht mehr ab, sondern warf wütend die Autotür zu und stapfte im Vollstreckerschritt den Gang zum Nachrichtenstudio entlang. Dort ging gerade das Rotlicht aus und Ina trat aus der schallisolierten Doppeltür.
    »Warum hast du meinen Beitrag nicht gesendet?« Sie pflanzte sich vor ihrer Kollegin auf.
    »Guten Morgen, Anne«, erwiderte Ina ruhig.
    Anne verschränkte die Arme über der Brust, warf den Kopf hoch und schnaubte verächtlich. »Also, warum?«
    »Weil dein Beitrag zwar hübsch anzuhören, aber nicht gerade von brennender Aktualität ist.«
    »Wie meinst du das?«, fragte Anne eine Spur unsicher.
    »Dann lies mal das hier.«
    Ina hielt ihr die AZ wie einen Köder vor die Nase. »Neonazi aus Baiersdorf brutal ermordet«, stand dort in fetten Lettern. Anne schnappte zu und überflog den Artikel, während ihre Kollegin herablassend lächelnd daneben stand und mit Genugtuung registrierte, wie sich Annes Gesicht langsam rötlich verfärbte.
    Der Reporter der Abendzeitung wusste offenbar nichts Genaues über das Aussehen der Leiche, sonst hätte er das Bild des in eine blutige Hakenkreuzfahne gewickelten Toten genüsslich beschrieben, dafür hatte er aber seine Identität herausbekommen. Es handelte sich um den 20-jährigen Sebastian K. aus Baiersdorf, einen arbeitslosen Polsterer, der bei seinen Eltern wohnte. Er galt als bekennender Neonazi mit Vorstrafen wegen Verunglimpfung des Staates, Tragens verfassungswidriger Symbole und illegalen Waffenbesitzes. Lebend war er zuletzt am Samstagabend in einer Gaststätte in Nürnberg gesehen worden. Kein Wort darüber, wie und wo Sebastian K. gestorben war. Nur dass von dem oder den Tätern bislang jede Spur fehle. Der Artikel war mit zwei Fotos illustriert: einer Archivaufnahme der Ehrenhalle auf dem Reichsparteitagsgelände und einem Passbild, das einen aufmerksam dreinblickenden jungen Mann mit dunklen Haaren zeigte und vermutlich aus seinem Führerschein stammte. Die Glatze musste er sich erst später geschoren haben.
    »Verdammter Mist! Woher weiß der das alles?«
    »Gründliche Recherche. Gute Kontakte. Er hat eben ein bisschen mehr drauf, als die Pressemitteilung der Polizei umzuschreiben.« Ina kostete ihren Triumph weidlich aus.
    »Ich habe überhaupt keine Pressemitteilung gelesen. Was ich berichtet habe, ist alles gründlich vor Ort recherchiert. Und immerhin habe ich O-Töne vom Justizsprecher und von Leuten aus dem Luitpoldhain«, verteidigte sich Anne. Sie hatte Lob erwartet und musste sich nun ausgerechnet vor Ina rechtfertigen. Natürlich wurmte sie der AZ -Artikel.
    »Jetzt reg’ dich mal wieder ab. Ich hab’ doch nicht gesagt, dass dein Beitrag schlecht gemacht ist, er ist halt nur nicht mehr aktuell. Schaffst du ein Update mit den neuen Fakten bis halb neun?«
    »Wenn ich jemanden finde, der sie mir bestätigt, ja.«
    »Na, dann mal los. Ich verlass mich drauf«, sagte Ina eine Spur zu gebieterisch und ließ Anne stehen.
    Da half nun alles Ärgern nichts. Sie musste die Scharte wieder auswetzen. Ein Glück, dass sie heute so zeitig gekommen war. Anne ging gar nicht erst in ihr Büro hoch, um keine wertvollen Minuten mit dem Hochfahren ihres Computers zu vergeuden, sondern direkt ins freie Studio nebenan. Dort feuerte sie Tasche und Jacke auf einen Stuhl, schnappte sich das Telefon und wählte die Nummer der Polizeipressestelle. Nach einem unergiebigen Gespräch mit Stadlober, der mauerte, und einem wesentlich ertragreicheren mit Lotti Bruns, einer guten Bekannten,

Weitere Kostenlose Bücher