Reseph
wegzukommen.
Aber warum nur? Auch wenn er sich nicht daran erinnerte, mit einer Frau zusammen gewesen zu sein, erkannte er Verlangen, wenn er es sah – und spürte. Bei ihrem Kuss hatte sie wie eine Frau reagiert, die sich nichts anderes wünschte, als ihrem Mann die Kleider vom Leib zu reißen. Sie hatte geglüht wie ein Holzofen, und ihr Körper hatte sich so mühelos an seinen geschmiegt, dass kein Platz für Zweifel blieb: Wenn sie allein gewesen wären – er hätte innerhalb von Minuten in ihr sein können.
Warum also hatte sie ihn alleingelassen?
»Es ist besser so«, sagte Matthew, dieser Volltrottel. »Sie hat in ihrem Leben schon genug durchgemacht, auch ohne sich noch um Sie kümmern zu müssen.«
Reseph ignorierte die gegen ihn gerichtete Spitze. »Was hat sie denn durchgemacht?«
»Nichts, was Sie etwas angeht.« Matthew deutete auf die Tür. »Kommen Sie. Ich bring Sie jetzt ins Heim.«
Da er keine Wahl hatte, packte Reseph seine Tüte und gestattete es dem Blödmann, ihn ein, zwei Kilometer weit zu fahren, bis zu einem Gebäude, das wie ein ehemaliges Gefängnis aussah. Oder ein Gefängniskrankenhaus.
Deputy Dämlich bestätigte seinen Verdacht. »Das war mal ein Sanatorium.«
»Und jetzt ist es ein Obdachlosenheim? Gibt es hier so viele Obdachlose?«
»Wir mussten es wieder aufmachen, als die Dämonen kamen. Eigentlich ist es gar kein Obdachlosenheim, sondern eher ein Frauenhaus.« Er zeigte auf den Spielplatz neben dem Gebäude, wo ein halbes Dutzend Kinder neben der Schaukel einen Schneemann bauten. »Die meisten von ihnen haben ein Zuhause.«
»Aber warum leben sie dann mit ihren Kindern hier?«
»Viele ihrer Ehemänner sind fortgegangen, um zu kämpfen, und nie wieder nach Hause gekommen. Die Frauen haben Angst davor, allein zu sein.«
»Aber die Dämonen sind weg.«
Die Miene des Deputys wurde traurig. »Nicht für sie.«
Sie betraten das Haus. Scheiße, das Heim war echt deprimierend. Jemand hatte versucht, die grauen, rissigen Wände mit bunter Farbe, Kunstwerken aus Bastelpapier und billigen Weihnachtsgirlanden zu verschönern, aber es war nach wie vor eine Blutkröte, die sich als Kätzchen verkleidet hatte.
Augenblick mal … was zur Hölle war eine Blutkröte? Fing er endlich an, sich zu erinnern? Gott, er hoffte es. Nachdem Jillian fort war, brauchte er unbedingt etwas, woran er sich festhalten konnte.
Verdammt noch mal, warum hatte sie ihn nur verlassen?
Eine grauhaarige Dame nahm sie an der Anmeldung in Empfang, und Reseph ließ sich von ihr in eine Zelle führen. Betonmauern, eine Pritsche und ein Aktenschränkchen mit zwei Schubladen, das als Kommode fungierte.
Das sollte also sein Zuhause sein.
Es war kein Vergleich mit Jillians warmem, gemütlichem Blockhaus.
Die Dame, Nancy, reichte ihm ein Klemmbrett mit Formularen. »Das müssten Sie für mich ausfüllen, soweit Sie können, und neben der Markierung unterschreiben. Dabei ist auch noch ein Blatt mit der Hausordnung und ein Arbeitsplan, dem Sie zustimmen müssen. Hier packen alle mit an, von Putzen über Wäschewaschen bis hin zu Gartenarbeit und Kochen. Der Waschraum der Männer ist gleich den Flur hinunter.«
Damit ließ sie ihn mit seinen Formularen und einem dünnen schwarzen Stift allein.
Alles, was er auf dieser Welt besaß, steckte in einer Plastiktüte, und er ließ sich auf die Liege sinken. Aber nicht einmal diese Dinge gehörten ihm wirklich. Jillian hatte das Zeug für ihn gekauft.
Und was jetzt?
Er wollte nicht hier sein. Wollte nicht von Jillian weg sein. Dieser Kuss … verdammt, dieser Kuss. Er hatte sich schon vorher zu ihr hingezogen gefühlt, aber hinter der Intimität, die sie geteilt hatten, schlummerte noch etwas wesentlich Stärkeres.
Klar doch, und davon war sie so beeindruckt, dass sie dich hat stehen lassen wie einen räudigen Straßenköter vor dem Tierheim.
Seine Finger schlossen sich enger um die Tüte. Vielleicht hatte er ihr doch mehr Angst eingejagt, als sie zugegeben hatte. Vielleicht war er eine zu große Last gewesen.
Er erinnerte sich an alles, was sie für ihn getan hatte: Sie hatte ihn bis zu ihrem Haus geschleppt und sich um ihn gekümmert, hatte für ihn gekocht, ihm Kleidung gekauft und ihm Hilfe besorgt. Zugegeben, er war eine Last gewesen. Aber das musste er nicht sein. Während er weiterhin daran arbeitete, herauszufinden, wer er war, konnte er ihr im Haus und mit den Tieren helfen. Sich seinen Lebensunterhalt verdienen, so wie er es auch hier tun
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