Resident Evil - Sammelband 02 - Der Umbrella-Faktor
war ziemlich sicher, dass dieses Monster nach ihr suchte. Das war wahrscheinlich dumm, Sherry glaubte nicht, dass Monster sich einen bestimmten Menschen herauspickten, um ihn zu jagen – aber andererseits hatte sie auch nie geglaubt, dass es echte Monster gab. Also hatte sie sich versteckt gehalten, die meiste Zeit im Ritterzimmer. Dort waren keine Toten, und der einzige Weg hinein – außer dem Lüftungsschacht hinter den Rüstungen – führte über einen langen Gang, der von einem riesigen Tiger bewacht wurde. Der Tiger war ausgestopft, aber er war trotzdem angsteinflößend – und Sherry meinte, dass der Tiger vielleicht das Monster verscheuchen würde. Ein Teil von ihr wusste , dass das albern war, aber sie fühlte sich durch diese Vorstellung trotzdem besser.
Seit die Zombies das Revier sozusagen in ihre Gewalt gebracht hatten, hatte Sherry viel Zeit mit Schlafen zugebracht. Wenn sie schlief, musste sie nicht daran denken, was wohl mit ihren Eltern passiert sein mochte, und sich nicht darum sorgen, was mit ihr selbst geschehen würde. Der Luftschacht war ziemlich warm, und aus dem Süßigkeitenautomaten im Erdgeschoss hatte sie genug zu essen – aber sie hatte Angst, und schlimmer noch als Angst zu haben, war das Alleinsein. Deshalb schlief sie meistens.
Sie hatte auch geschlafen, behaglich hinter den Ritterrüstungen zusammengekuschelt, als sie von einem gewaltigen Krachen geweckt wurde, das von draußen kam. Sherry war sicher, dass es das Monster war. Bislang hatte sie nur einen flüchtigen Blick darauf erhaschen können, auf den furchtbar breiten Rücken des Riesen, durch ein Stahlgitter hindurch – aber sie hatte es seither viele Male im Gebäude brüllen und heulen hören. Sie wusste, dass es schrecklich war, schrecklich und gewalttätig und hungrig. Manchmal verschwand es für Stunden, ließ Sherry hoffen, es hätte aufgegeben – aber es kam immer zurück, und ganz gleich, wo Sherry sich auch befand, es schien stets irgendwo in der Nähe aufzutauchen.
Der Lärm, der sie aus dem traumlosen Schlaf gerissen hatte, klang wie das Geräusch, das ein Monster verursachen würde, wenn es Wände einriss. Sherry kauerte sich in ihrem Versteck zusammen, bereit, schnell wieder in den Schacht zu schlüpfen, sollte das Geräusch näherkommen. Das tat es nicht. Lange Zeit bewegte sie sich nicht, wartete mit zugedrückten Augen, hielt ihren Glücksbringer fest – einen wunderschönen goldenen Anhänger, den sie erst vorige Woche von ihrer Mutter bekommen hatte, so groß, dass er ihre ganze Hand ausfüllte. Wie schon zuvor funktionierte der Glücksbringer auch diesmal – das laute, fürchterliche Geräusch wiederholte sich nicht. Oder vielleicht hatte der große Tiger das Monster daran gehindert, sie zu finden. Wie auch immer, als sie leise klopfende Laute aus dem Büro hörte, fühlte sie sich sicher genug, um aus der Kiste zu kriechen und hinaus auf den Gang zu gehen, um zu lauschen. Die Zombies und die Inside-Out-Wesen konnten keine Türen benutzen, und wenn es das Monster gewesen wäre, dann hätte es sich längst auf sie gestürzt, die Türen mit seinen Klauen zerfetzend und nach Blut brüllend.
Es muss ein Mensch sein. Vielleicht ist es Mom …
Auf halbem Wege den Gang hinunter, wo er nach rechts abbog, hörte Sherry Menschen in dem Büro reden und verspürte ein Aufwallen von Hoffnung, die sich mit Einsamkeit vermengte. Sie verstand nicht, was die Leute sagten, aber es war das erste Mal seit vielleicht zwei Tagen, dass sie irgendjemanden hörte, der nicht schrie. Und wenn sich dort Menschen unterhielten, dann hieß das ja vielleicht, dass endlich Hilfe nach Raccoon gekommen war.
Die Armee oder die Regierung oder die Marines, vielleicht auch alle zusammen …
Aufgeregt eilte Sherry den Flur hinab, und sie stand neben dem fauchenden Tiger, direkt an der Tür, als ihre Aufregung verflog. Die Stimmen waren verstummt. Sherry stand ganz still, hatte plötzlich Angst. Wenn Leute nach Raccoon gekommen wären, um zu helfen, hätte sie dann nicht die Flugzeuge und Lastwagen gehört? Wären da nicht Schießereien und Bombenexplosionen gewesen und Männer mit Megafonen, die alle anwiesen, herauszukommen?
Vielleicht sind das gar nicht die Stimmen von Soldaten – vielleicht sind das die Stimmen von bösen Menschen. So verrückt wie dieser eine Mann …
Kurz nachdem Sherry sich versteckt gehabt hatte, hatte sie durch ein Gitter, das in die Wand eines Umkleideraums eingelassen war, etwas Schreckliches mitansehen
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