Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
sowie in dauerhaft fehlender Anerkennung im Beruf, nach Missbrauch oder einem schweren Unfall. In all diesen Situationen brauchen Menschen seelische Widerstandsfähigkeit, wenn sie an ihnen nicht zugrunde gehen wollen. Jeder Arbeitnehmer braucht sie; jeder Liebende und sogar jeder Erfolgstyp.
Das Kapitel möchte an ausgewählten, realen Beispielen darlegen, wie es Menschen gelungen ist, aus den verschiedensten Krisen gut herauszukommen. Es gibt ungefiltert die persönliche Einschätzung der Betroffenen wieder: Was glauben diese selbst, wie ihnen die Bewältigung des zunächst unerträglich erscheinenden Schicksalsschlags gelungen ist? War es für sie je eine Frage, ob sie es schaffen würden, nach ihrer Entführung, dem Tod ihres Kindes oder dem Terroranschlag, der ihr Leben bedrohte, wieder glücklich zu werden? Welche Bedingungen in ihrem Umfeld, welche ihrer Charaktereigenschaften haben ihnen geholfen?
Die Einzelschicksale sind zweifelsohne subjektiv – und sie lassen auch ganz bewusst die Betroffenen selbst oder ihnen nahestehende Menschen zu Wort kommen. Denn der Umgang mit Schicksalsschlägen ist höchst individuell. Dabei ist es auch nicht unerheblich, welches Unglück welche Person heimsucht. Jemand, der nach dem plötzlichen Verlust eines nahen Angehörigen wieder neuen Lebensmut findet, muss nicht unbedingt in der Lage sein, auch Gewalt gegen die eigene Person, den Verlust der körperlichen Mobilität oder sein Versagen im Beruf gut zu verarbeiten.
Trotz aller Individualität und Beispielhaftigkeit aber: Die in diesem Kapitel erzählten Lebensgeschichten werfen ein Licht auf die wichtigsten menschlichen Eigenschaften, die eine starke Seele ausmachen. Dazu gehört zum Beispiel die Fähigkeit, verlässliche soziale Bindungen aufzubauen; dazu zählen aber auch Selbstbewusstsein, Intelligenz, Fröhlichkeit, Durchsetzungsvermögen,Kraft, Selbstkenntnis, Frustresistenz und das Bewusstsein, etwas im Leben erreichen zu können. Auch hilft es, wenn man grundsätzlich offen für Veränderungen ist – zur Not auch für solche, die zunächst wenig erfreulich zu sein scheinen.
Man muss nicht gleich über all diese Merkmale verfügen, um Krisen erfolgreich zu bewältigen. Oft reichen schon wenige solcher starken Eigenschaften aus, wie die folgenden Beispiele zeigen. Hauptsache, die Menschen machen sich in den Zeiten der Krise klar, über welche Ressourcen sie ganz persönlich verfügen – und wie sie im Moment von Frust und Trauer aus ihnen schöpfen können.
Die verwaiste Mutter
Als Dennis mit drei Jahren an Krebs erkrankte, ahnte seine Mutter nicht, dass das Schicksal eine noch grausamere Prüfung für sie bereithalten sollte. Dennis starb nicht an seinem Krebs. Die Operation, in der sein schon fünf Zentimeter großer Gehirntumor entfernt wurde, überstand der Dreijährige sogar bestens. »Der Tumor war hundertprozentig weg. Alles schien auf einem guten Weg zu sein«, erzählt seine Mutter Ute Hönscheid mit einer freundlichen, lebenslustigen, glockenklaren Stimme. Anzuhören ist ihr nicht, was sie in den Monaten nach der Operation und bis heute zu bewältigen hat.
Zunächst schien es das Schicksal gut mit ihrer Familie zu meinen. Bald nach dem schweren Eingriff im Jahr 1997 konnte Dennis schon wieder selbst seinen Schnuller in den Mund stecken, Kinderpuzzles lösen und Kassetten in seinem Rekorder zum Laufen bringen. Als Ärzte seine Schläuche entfernten und ihm dabei weh taten, hatte der Knirps sogar genügend Kraft, um böse zu werden: »Blöde Mama«, schimpfte er. Die Eltern waren überglücklich.
Doch es dauerte nicht lange, bis sich das Schicksal erneut wendete. Dunkel war es im Krankenzimmer. Viel zu dunkel. Die kleine Lampe an Dennis’ Bett war schon seit Tagen kaputt. Die große Lampe wollten die Krankenschwestern nachts nicht anschalten, um das Kind nicht im Schlaf zu stören. »MachenSie doch Licht«, sagte die Mutter, wenn eine Schwester nachts ins Zimmer kam, um nach Dennis zu sehen. Irgendwie, vielleicht aus einer Vorahnung, gefiel ihr dieses Hantieren im Dunkeln nicht. Aber die Schwester machte kein Licht. Stattdessen machte sie einen verhängnisvollen Fehler.
So dicht lagen die beiden Medikamente nebeneinander auf Dennis’ Nachtschrank. Wie leicht konnte man danebengreifen. Wie viel leichter noch in einem Zimmer ohne Licht. Das Entsetzliche geschah: Die Krankenschwester gab statt der vorgesehenen Antibiotikalösung die Spritze mit dem Kalium in Dennis’ Einlaufpumpe. So rann das Mineral
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