Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Er erreiche schlicht nicht mehr sein »Energielevel«, das so nötig sei, um seine Mannschaft mit genügend Power für ihre Siege zu versorgen, sagte Rangnick.
Schon im Juni 2012, gerade mal neun Monate später, stand der gebürtige Schwabe wieder auf der großen Fußballbühne. Er wurde Sportdirektor gleich zweier Fußballclubs, des vielfachen österreichischen Meisters FC Red Bull Salzburg und des dazugehörigen Viertligisten RB Leipzig. »Heute beginnt eine neue Zeitrechnung«, sagte er beim Antritt seiner neuen Jobs. Er sprühe wieder vor Leidenschaft, versicherte Rangnick. »Mir geht es so gut wie ewig nicht mehr.«
Rangnick galt immer als einer, der voller Energie war. Als »Fußballprofessor« ging er in die Bundesligageschichte ein, weil er 1998, da war er gerade junger Erfolgstrainer beim SSV Ulm, im ›Aktuellen Sportstudio‹ des ZDF an einer Tafel professoral wesentliche Grundlagen der Fußballtheorie erklärte. Er verdeutlichte die Bedeutung von Raumdeckung und Viererkette und zeigte so, weshalb die Position des Libero im modernen Fußball nicht mehr zeitgemäß ist. Dabei wirkte er so konzentriert, so gewissenhaft und irgendwie auch an der Grenzezur Zwanghaftigkeit, dass schon damals klar war: Dieser Mensch setzt sich für seine beruflichen Ziele und Vorstellungen ein, koste es, was es wolle, und sei es das eigene Lebensglück.
Bald schon hatte der Selbstausbeuter Rangnick den erwarteten Erfolg. Er entwickelte sich zu einem der profiliertesten deutschen Bundesliga-Coachs. Als erstem deutschen Trainer gelang es dem studierten Sport- und Englischlehrer mit der TSG 1899 Hoffenheim, einen Klub von der dritten Liga auf Platz eins der ersten Bundesliga zu führen. Rangnick verlangte nicht nur von seinen Spielern alles. Er war dafür bekannt, auch selbst an sein Limit zu gehen, perfektionistisch und radikal prinzipientreu zu sein. Dabei wendete er ein hohes Maß an Energie für Dinge auf, die andere als Kleinigkeiten betrachteten. Sogar die Hotels wollte er in seiner Funktion als Trainer noch selber buchen. Abschalten, das konnte er Weggefährten zufolge kaum. »Es gibt sicher Situationen, in denen ich anstrengend bin«, gab Rangnick vor Jahren zu. »Wenn ich Bequemlichkeit spüre, dann werde ich unangenehm!«
Nie machte er aus seinem ausgeprägten Ehrgeiz ein Geheimnis. Gern erzählte er die Anekdote, wie er als Kind ein Spielzeugauto durch die Gegend schleuderte, nur weil er gegen seinen Opa beim Spielen verloren hatte – ausgerechnet beim Mensch-ärgere-dich-nicht. Niederlagen schienen ihm schwer zuzusetzen – mehr als es in der umkämpften Fußballbranche üblich ist. »Ralf ist jemand, der immer 200 Prozent gibt, um das Optimum zu erreichen, und diese Erwartung hat er, wie man weiß, auch an sein Umfeld«, sagte sein Berater Oliver Mintzlaff.
Doch plötzlich ging es nicht mehr. Rangnick fühlte sich ausgepumpt. Zwar versuchte der ehrgeizige Trainer noch wochenlang, seine Probleme zu verdrängen. Doch im September 2011 diagnostizierte der Mannschaftsarzt des FC Schalke 04, Thorsten Rarreck, bei Rangnick ein vegetatives Erschöpfungssyndrom. Es hätte schon Überzeugungsarbeit gekostet, bis sein Schützling das akzeptiert habe, erzählte Rarreck später. Aber letztlich sei der Trainer erleichtert über diese Diagnose gewesen und darüber, dass der Mannschaftsarzt ihn bestärkte, eine Auszeit zu nehmen.
Rarreck war aufgefallen, dass Rangnick »nicht einfach nur platt war«. Deshalb »musste die Reißleine gezogen werden«. Auch Rangnick selbst sagte später: »Aufzuhören war eine brutale Notwendigkeit.« Nur wer selbst brenne, könne Feuer entfachen. Aber er habe sich gefühlt, als hätte ihm jemand den Stecker rausgezogen. »Man denkt sich: Beiß auf die Zähne. Aber irgendwann ging es nicht mehr«, erzählt er. Seine Blutwerte seien »katastrophal im Keller« gewesen, die Hormone durcheinander, das Immunsystem lahmgelegt. »Das war ein kompletter körperlicher Breakdown.«
Die ersten Anzeichen hatte er bereits Monate zuvor selbst wahrgenommen. Denn bevor er im März 2011 den Trainerposten bei Schalke antrat, hatte er eigentlich eine längere Auszeit im Sinn. Mehrere Monate habe er nach der Trennung von seinem vorherigen Arbeitgeber TSG Hoffenheim Anfang Januar pausieren wollen. Aber dann meldete sich Schalke schon so schnell. Jetzt oder nie, hieß das Angebot. Und Rangnick nahm es trotz seiner inneren Leere an. Sich übernahm er. »Er hat sich schlicht überfordert«, sagte Mannschaftsarzt
Weitere Kostenlose Bücher