Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Vormittags verschwand Jürgen in seine Hightech-Werkstatt. Dort fertigte er per Hand selbstentwickelte, hochwertige Surfbretter an. Die Frauen der Familie verlegten sich ebenfalls aufs Kreative, malten und entwarfen sogar eine eigene Modekollektion.
Alle Familienmitglieder nahmen ganz bewusst nur noch die schönen Dinge des Lebens wahr. Dazu gehörten das Meer und die Sonnenuntergänge, die Siege der Töchter, die nun erste große Surfwettkämpfe gewannen. Das Glücksgefühl, das sich einstellte, wenn sie morgens am Meer durch die Dünen joggten. »Aber wir hielten uns auch ganz egoistisch die Probleme unserer Freunde vom Hals und guckten nicht mal mehr Nachrichtensendungen«, erzählt die Mutter. »Daran haben wir uns nach oben gezogen.«
Durch dieses ganz bewusste Ausblenden von Negativem habe sich das Leben dann irgendwann wieder gut angefühlt. Ein ganz wesentlicher Punkt dabei war der Familienzusammenhalt, der Stärke und Geborgenheit vermittelt: »Wir sind ein richtiger Clan!« Schon in der Klinik hatten sich die Krankenschwestern gewundert, wie fröhlich die Familie eines krebskranken Kindes sein konnte, wie sie einander umarmten und gute Stimmung verbreiteten. »Man muss sich doch auf neue Situationen einstellen können und ihnen das Beste abgewinnen«, hatte Ute Hönscheid damals gesagt.
Irgendwann hatte Ute Hönscheid so viel Kraft getankt, dasssie sogar wieder in der Lage war, einen schmerzvollen Kampf aufzunehmen. Für ihren Sohn konnte sie nichts mehr tun. Aber sein viel zu früher Tod sollte wenigstens nicht umsonst gewesen sein. Sie wollte anderen Menschen ein ähnliches Schicksal ersparen, das Bewusstsein für Behandlungsfehler und deren Folgen wecken und dafür sorgen, dass Kliniken Fehlermelderegister einrichten, um Unfälle zu vermeiden. Deshalb prozessierten die Hönscheids jahrelang gegen das Frankfurter Universitätsklinikum, das den Behandlungsfehler zu vertuschen versuchte. Es war ein Krimi mit verschwundenen Akten, eingeschüchterten Zeugen und einer befangenen Richterin. Rücksichtslose Ärzte versuchten den Hönscheids weiszumachen, dass der Zustand ihres Jüngsten auf seinen Tumor zurückzuführen war und nicht auf die falsche Infusion.
Sieben Jahre lang haben Ute und Jürgen Hönscheid um die Wahrheit gekämpft. Ute Hönscheid hat darüber sogar ein Buch geschrieben (›Drei Kinder und ein Engel‹). Schließlich erkannte das Gericht an, dass Dennis infolge eines Behandlungsfehlers gestorben war. Hass fühlt die Mutter bis heute nicht – auch nicht gegen die Krankenschwester, der sie längst verziehen hat. »Krankenschwestern, Ärzte und Professoren haben uns schon oft sehr geholfen und dafür sind wir unendlich dankbar«, heißt es im Vorwort zu ihrem Buch. »Wir richten uns allein gegen das Vertuschen von Behandlungsfehlern, wie es im Fall unseres Sohnes Dennis geschehen ist.« 40 000 Euro Schmerzensgeld bekamen die Hönscheids nach dem Prozess. Sie spendeten die gesamte Summe – die Hälfte davon an die Krebsstation der Frankfurter Uniklinik, wo alles geschah. Es sei wichtig, sich zu versöhnen – mit den Menschen, mit dem Schicksal, sagt die Mutter.
»Man verarbeitet so etwas nicht. Es begleitet einen und verändert sich dabei«, erzählt Ute Hönscheid ohne jede Verbitterung. »Aber wer so etwas überstanden hat, der hat eine Lebensfreude, kann besser mit Dingen im täglichen Leben umgehen. Wir wissen jetzt, dass wir sehr viel aushalten können, ohne zu zerbrechen. Das macht stark.«
Heute sagt sie, sie könne jedem nur raten, »einen solchen Beschluss zu fassen, wie wir es damals getan haben – einenganz radikalen, unverschämten Beschluss.« Das Ende einer Krise habe auch etwas mit Willen zu tun. »Es geht viel über den Kopf. Man muss die Bereitschaft dazu haben, die Krise gut zu überstehen.« Dabei helfe es, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Gerade hat Ute Hönscheid wieder etwas Neues für sich entdeckt: »Ich model jetzt, als Best-Age-Model«, erzählt sie. »Es ist herrlich, so etwas Banales, Schönes, Unbeschwertes, Leichtes, Lustiges zu tun. Und ich weiß, ich darf das auch.«
Der Selbstausbeuter
Er kam so schnell wieder, wie er verschwunden war. Ende September 2011 verkündete Ralf Rangnick, der Cheftrainer des Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04, dass er von jetzt auf gleich seinen Job hinschmeißen müsse. Einer der Härtesten in einer harten Branche sagte, er sei ausgebrannt, habe keinen Appetit, esse kaum noch etwas und könne nicht mehr schlafen.
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