Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Tierrechtsbewegung großen Zulauf bekam. In jedem Fall aber bewirkten sie, dass die Position derer zu schwächeln begann, die Körperkontakt in der Erziehung als völlig sinnlos betrachteten.
Auch Beobachtungen aus den Waisenhäusern der damaligen Zeit förderten ein neues Denken, wonach es Kindern nicht allzu gut bekommt, wenn sie ähnlich wie Harlows Affen ihre Zeit auf sich allein gestellt verbringen müssen – selbst wenn ihre Kinderzimmer noch so reichlich ausgestattet sind. In jüngster Zeit verdeutlichten dies noch einmal die Waisenhäuser des Ceauşescu-Regimes der Jahre 1965 bis 1989 in Rumänien, wo Kinder unter zum Teil unmenschlichen Bedingungen vor sich hinvegetierten. Die Kinder wurden häufigans Bett gefesselt und allenfalls mit dem Nötigsten versorgt. Ein liebes Wort oder eine Streicheleinheit gab es nicht. Viele Kinder wirkten apathisch, als nach dem Zusammenbruch des Regimes westliche Beobachter die Heime betraten; sie waren schreckhaft oder aggressiv und zumindest anfänglich kaum in der Lage, an einem normalen Familienleben teilzunehmen.
Ende der 1980er-Jahre zweifelte niemand mehr daran, wie wichtig Ansprache und körperliche Zuwendung für eine gesunde psychische Entwicklung von Kindern sind. Eines überraschte Wissenschaftler aber doch: Die fehlende seelische Stabilität der Kinder schien sich auch auf ihre Gesundheit niederzuschlagen. Die rumänischen Waisen zogen sich nämlich besonders leicht Infekte zu. Sie waren auch dann noch anfälliger als ihre Altersgenossen aus normalen amerikanischen Familien, als sie schon jahrelang in den USA bei Adoptivfamilien lebten.
Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen Kampfgeist und Immunabwehr. Das stellte auch der Psychologe Seth Pollak fest: Jugendliche, die in ihrer Kindheit körperlich misshandelt worden waren, hatten ein deutlich schwächeres Immunsystem als Gleichaltrige ohne Gewalt in der Familie. Die Körper der misshandelten Kinder konnten Herpesviren weniger gut bekämpfen und produzierten deshalb eine überbordende Menge an Antikörpern, die Pollaks Team in ihrem Speichel fand. Der Effekt hielt über Jahre an.
Es waren einfühlsame Kinderärzte und Seelenkundler, die die Erkenntnis vom Zusammenhang einer liebevollen Umwelt mit der Entwicklung psychischer und körperlicher Abwehrkraft auch gleich in die Praxis umsetzten. Wegweisende Studien hat die Kinderpsychiaterin Heidelise Als auf den Frühgeborenenstationen am Children’s Hospital in Boston durchgeführt. Sie lehrte die dort arbeitenden Krankenschwestern, die Bedürfnisse auch noch so kleiner Frühchen zu erkennen und speziell auf sie zu reagieren – dem Winzling also zu geben, was ihm in der jeweiligen Situation offenbar am wichtigsten war. Jedes Frühchen bekam täglich mehrere Portionen solcher Extra-Aufmerksamkeiten.
Auf diese Art erzielte Als faszinierende Erfolge: Was die körperlicheZuwendung und die Interaktion für die Kleinsten bedeutete, zeigte sich an der Entwicklung, die sie noch in der Klinik nahmen. Die Frühchen reiften erheblich schneller, wenn sie nicht tagaus, tagein auf sich allein gestellt in ihren beheizten Brutkästen lagen, sondern menschliche Wärme erhielten. Sie wuchsen schneller, konnten früher nach Hause entlassen werden, entwickelten kräftigere Lungen und Herzen und hatten am Ende weniger geistige Defizite als alleingelassene Frühchen.
Auch erste Langzeitdaten mit den rumänischen Heimkindern zeigen den immensen Einfluss, den das soziale Umfeld auf die psychische Widerstandskraft hat: Waisen aus einem Bukarester Heim, die im Jahr 2000 in eine rumänische Pflegefamilie kamen und dort Liebe und Zuwendung erhielten, entwickelten deutlich seltener eine Angststörung oder eine Depression als Kinder, die auch nach dem Zusammenbruch des Ceauşescu-Regimes zunächst im Heim bleiben mussten.
Kritische Geister mögen einwenden, dass Pflegefamilien wahrscheinlich eher solche Kinder wählen, die gesund und fröhlich wirken; und dass die Kinder mit dem größeren Hang zu psychiatrischen Auffälligkeiten wohl eher im Heim zurückbleiben. Doch damit hatte der Effekt, den die Psychiater Charles Nelson, Nathan Fox und Charles Zeanah fanden, nichts zu tun. Denn sie hatten in einem Bukarester Heim das Los entscheiden lassen, welche der 136 Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und zweieinhalb Jahren zu einer Pflegefamilie durften. Dass ein solches Vorgehen ethisch bedenklich ist, haben die Wissenschaftler durchaus bedacht. »Doch zu Beginn unserer Studie
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