Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Gehätschelte Rattenbabys werden auch selbst liebevolle Eltern, vernachlässigte dagegen ebensokaltherzig, wie ihre Mütter es zu ihnen waren. Dass die Jungtiere die Zahl der Andockstellen in ihrem Gehirn aber nicht einfach von ihren Müttern erben, hat Michael Meaney durch einen Trick bewiesen: In einem seiner Experimente tauschte der Neurobiologe die Würfe der Rättinnen aus: Eine kuschelnde Mutter zog den Nachwuchs einer lieblosen Mutter auf und umgekehrt. Bei den Adoptivkindern aber ergab sich dasselbe Bild wie zuvor beim natürlichen Nachwuchs: Wer gehätschelt wurde, bei dem bildeten sich mehr Andockstellen für Cortisol im Gehirn, und der erkundete neugierig die Welt.
Der Einfluss des Cortisols auf das Seelenheil ließ sich inzwischen auch für Menschen bestätigen. Ein besonders eindrucksvolles Experiment führte die amerikanische Psychiaterin Christine Heim durch. Sie hat Frauen, die als Kinder sexuell missbraucht worden waren, absichtlich unter Stress gesetzt: Heim bat die Frauen einfach, einen öffentlichen Vortrag zu halten. Dabei erreichten die Spiegel an Stresshormonen bei diesen Frauen einen Wert, der sechsmal so hoch war wie bei psychisch stabileren Frauen, die keine traumatische Kindheit hatten. Auch andere Studien zeigten: Menschen, die früh traumatisiert wurden, reagieren später im Leben oft überempfindlich auf Belastungen.
Schrecken im Gehirn
Lieblosigkeit und Schreckenserlebnisse können also die Entwicklung psychischer Widerstandskraft torpedieren. Und sie lassen sich sogar an den Strukturen des Gehirns ablesen, sagt die Entwicklungsneurobiologin Anna Katharina Braun im Hinblick auf schwere Traumata. Sie fand dies zunächst an niedlichen Strauchratten heraus, die ein besonders ausgeprägtes Sozialleben haben.
Braun attackierte dieses Sozialleben – sie nahm einzelne Jungen täglich für eine Stunde vom Rest der Familie weg. In den Gehirnen dieser Tiere fand sie später, dass die Nervenzellen auf merkwürdige Art verschaltet waren. So fanden sich im Gyrus cinguli – einer Gehirnstruktur, die zum limbischen System gehört und damit an der Verarbeitung von Emotionenund Trieben beteiligt ist – mehr Synapsen als bei Tieren, die nicht isoliert worden waren.
Mehr? »Auch das ist eine Störung der gesunden Entwicklung«, betont Braun. Üblicherweise bildet das Gehirn während der Entwicklung viel mehr Synapsen aus als nötig. Aber: Mit der Zeit stabilisieren sich nur jene Verbindungen zwischen den Nervenzellen, die für ein effizientes Funktionieren des Gehirns auch gebraucht werden. Der Rest wird einfach wieder abgebaut. Ebendiesen Sortierprozess aber scheint es bei den isolierten Strauchratten nicht gegeben zu haben. Sie behielten ein Übermaß an Synapsen unter der Schädeldecke. Das hatte Folgen für ihr Verhalten: Fremde Umgebung machte sie ängstlich.
Wie man psychische Stärke misst
»Dass biologische Faktoren die Widerstandsfähigkeit gegen Belastungen beeinflussen, scheint seit Langem unzweifelhaft«, fassen der Kinderpsychiater Martin Holtmann und der Neuropsychologe Manfred Laucht die aktuelle Forschung zusammen. Daraus ergibt sich etwas Bemerkenswertes: Die psychische Stärke von Tieren oder Menschen ist auch ganz konkret anhand mancher körperlichen Funktionen messbar. Zum Beispiel lässt sich die Stressresistenz eines Menschen bis zu einem gewissen Maß bestimmen, wenn man ihn mit einem lauten Knall erschreckt. Die Länge seines Schreckreflexes offenbart dann, wie schnell die Erholung nach einem negativen Erlebnis einsetzt. Das sei ein Indiz dafür, wie gut ein Mensch solche Ereignisse verarbeitet, schreiben Holtmann und Laucht. So ist es von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich, wie lange sich die Augenlider schließen, wenn plötzlich ein extrem lautes Geräusch zu hören ist.
Aber ob die Länge des Zusammenzuckens auch weitergehende Schlüsse auf den Umgang mit Stress zulässt – etwa auf die seelische Gesundheit einer Person, ihre Anfälligkeit für psychische Erkrankungen? Das würde bedeuten, dass Menschen, die relativ lange Schreckreaktionen zeigen, auch bei größeren Widrigkeiten als einem Knall längere Zeit benötigen, um sich davon zu erholen. Sie brauchen dann womöglich so lange,dass sie davon seelisch krank werden. Tatsache ist jedenfalls: Die Länge des Schreckreflexes eines Menschen spiegelt sich in den Strukturen seines Gehirns wider.
Je nachdem, wie schnell Menschen nach einem Knall wieder entspannen, zeigen sich Unterschiede in ihrem präfrontalen
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