Resteklicken
auf unserer Hochzeit, an Jahrestagen und bei meiner Beerdigung gespielt werden. Ich sehe es schon vor mir, wie Steffi in der Kirche um mich weint, und ein paar ältere Herren in schwarzen Anzügen den Song a cappella neben meinem Sarg zum Besten geben, den man im Übrigen nicht öffnen kann, meinen Sarg, weil ich besoffen in einen Ventilator gelaufen bin, und das keiner wirklich sehen will, außer vielleicht Max, der alte Splatter-Liebhaber. Ich in vierundsechzig Puzzleteilen in einem Sarg und Steffi schön am Heulen um die Liebe ihres Lebens, und der Alte-Männer-Chor singt »Disco Pogo« in Moll. Und alle Atzen trauern. Dingerlingerling.
Was wird eigentlich aus meinem Facebook-Profil im Falle meines Ablebens? Ich meine, wenn ich tot bin, und keiner der Hinterbliebenen mein Passwort kennt, dann kann es doch auch niemand deaktivieren. Das heißt wohl, dass ich meine Zugangsdaten in mein Testament schreiben muss! Oder aber ich lasse es einfach und lebe ewig weiter. Im Internet. Was für eine seltsame Vorstellung. Wenn es einen Dritten Weltkrieg geben sollte, in dem wir alle umkommen, dann bleiben unsere Facebook-Profile erhalten! Ob es das kommende Menschenalter in einer Million Jahren wirklich interessiert, dass ich ein Fan von Sasha Grey war? Na ja. Wenn sie das Foto auf ihrer Fanpage sehen, dann werden sie es schon verstehen. Und sich vermehren wie die Karnickel. Unglaublich! MEINE Idolisierung einer Pornodarstellerin wird das Überleben unserer Spezies sichern und eine neue Generation von sexgeilen Über-Humanoiden erschaffen! Ich sollte mir diesen Gedanken schützen lassen, bevor Quentin Tarantino darauf kommt.
Da mit einem Mal alles so außergewöhnlich supi läuft, ziehe ich mein iPhone aus der Tasche und gehe auf Facebook. Und siehe da – ich habe zwanzig neue Freunde! Und eine Freundschaftsanfrage! Von Florian Gruse , einem alten Kumpel von mir, den ich schon lange Zeit versucht habe zu Facebook zu lotsen. Aber bislang wollte er nicht. Er hat immer behauptet, Facebook sei die neue NSDAP , und je später er da eintritt, desto glaubwürdiger könnte er nachträglich vertreten, er sei doch eigentlich im Widerstand gewesen. Jetzt ist also auch er umgefallen, Mitläufer geworden, ein ganz ordinäres neues Facebook-Gesicht eben, und per vorsichtigem Druck auf den Touchscreen mein 250 . Freund! Eigentlich müsste ich ihm eine Glückwunschkarte kaufen. Mit einer goldenen und von einem Lorbeerkranz umfassten »250« in der Mitte. Ich liebe ihn. Und ich liebe Steffi. Und mein Leben liebe ich auch.
»Mal im Ernst, wo fahren wir denn hin?«
»Zu mir«, sagt sie.
Zu ihr. Wie wundervoll.
Mein iPhone klingelt. Normalerweise gehe ich an unterdrückte Rufnummern nicht ran, aber heute mache ich mal eine Ausnahme.
»Hier Disco-Meschner«, blödel ich, und ich kann hören, wie Steffi kichert und das Radio leiser dreht.
»Herr Meschner? Moritz Meschner?«
»Der bin ich«, sage ich sehr von mir überzeugt und nehme einen Zug von meiner Zigarette.
»Reuter mein Name. Ich grüße Sie, Herr Meschner!«
»Ich kenne keinen Reuter. Nur Ernst Reuter, aber der ist so tot wie Claude Debussy!«
Wieder kichert Steffi. Ich drehe mich kurz zu ihr, und obwohl sie sich auf die Straße konzentriert und mich nicht sehen kann, zwinkere ich ihr zu.
»Na, Sie sind ja gut drauf, Herr Meschner«, sagt der Mann lachend.
»Ist ja auch kein Wunder«, entgegne ich. »Wenn das Leben glatt und in geordneten Bahnen verläuft, dann ist man eben gut drauf.«
»Das freut mich für Sie! Und vielleicht können wir darüber sprechen.«
»Wie? Sprechen? Über mein Leben?«
»Ja, klar. Wie gesagt, mein Name ist Reuter, und ich arbeite für die BILD -Zeitung, und ich dachte, wir könnten uns vielleicht morgen mal treffen. Oder auch heute, wenn Sie noch Zeit haben. Ich bin da ganz flexibel.«
»Treffen? Also … ich …«
Ich gerate plötzlich ins Stocken. SO berichtenswert ist es ja wohl auch nicht, dass ich wieder mit Steffi zusammen bin. Andererseits ist das schon eine starke Story. Ich meine, so wie ich meine Ex zurückgewonnen und dabei sogar noch das muskelbepackte Glatzenschwein Silvio ausgeschaltet habe, das hat schon Vorbildcharakter. Trotzdem muss das nicht unbedingt in die Zeitung.
»Ich finde nicht, dass wir uns treffen sollten. Das ist ja ganz lieb von Ihnen, aber …«
»Sie SIND doch der Typ, der im Hasenkostüm das KaDeWe demoliert hat, oder?«
Mir wird heiß.
Und wieder flashbackt es in meinem Gehirn.
»Hallo? Sind Sie
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