Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)
als ihre Hüfte zu betten.
»Sieh hin!«
Retra gehorchte.
Er rutschte tiefer, bis sein Gesicht auf der Höhe ihres Oberschenkels ankam. Mit einer schnellen Bewegung hob er die Seide an, zog den Stoff ab, der die Wunde bedeckte, und drückte den Mund darauf, als frisches Blut hervorsprudelte.
Retra schrie auf, vor Schmerz und vor Abscheu. Ihr Kopf weigerte sich zu begreifen, was er tat, und doch ließ der Schmerz nach, als sich seine Lippen weiter auf die Wunde pressten und seine Zunge sich tief hineingrub. Ein angenehmes Wohlgefühl durchströmte sie.
Während er weiter mit Mund und Zunge Druck ausübte, ohne jedoch von ihr zu trinken, kam auch wieder Leben in sie. Ihre Kraft kehrte zurück, und schon bald klärten sich ihre Gedanken. Sie wand sich, um von ihm wegzukommen, aber er schob sich mit dem ganzen Körper auf sie, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnte.
Der Schmerz, mit dem sie so lange gelebt hatte, war nun nur noch ein schwaches Pochen. Sie fühlte sich leicht, wie befreit.
Doch stattdessen wuchs ein anderes Gefühl in ihr – ein seltsamer Druck in ihrem Unterleib, sodass sie sich erneut winden wollte, aber auf andere Art. Sie griff nach Lenoirs Haar, packte eine Handvoll davon und zog daran, ohne darüber nachzudenken, ob sie ihm damit wehtat. Ihr Atem ging schneller. Aus dem Druck in ihrem Inneren wurde etwas, das sie noch nie zuvor empfunden hatte, und von dem sie auch nie gedacht hätte, dass es existierte. Es trieb sie vorwärts, entblößte sie. Erschaudernd wiegte sie sich gegen ihn.
Als das Gefühl schließlich seinen Höhepunkt erreichte, krümmte sich ihr Körper wie von allein zu einem hohen Bogen.
Ihr Geist löste sich, ihr Körper funkelte.
Dann war es vorbei, und sie fiel zurück.
Nachdem das Hochgefühl nachgelassen hatte und sein Haar ihrem Griff entglitten war, hob Lenoir den Kopf, auf den Lippen die Spuren ihrer Wunde.
»Nun gehörst du mir.« Er schob sich höher, bis ihre Gesichter wieder auf einer Höhe waren. »Dann sag mir, Fledermäuschen … wie ist dein Name?«
Sie überlegte lange. Sie hatte einen anderen Namen getragen, doch zu dem passte sie nicht mehr.
»Naif«, sagte sie endlich.
Zweiter Teil
Naif
19
Lenoir hatte sie in einen Raum ganz in der Nähe seines eigenen gebracht. Das hatte Naif erfahren, als die Riper, die vor ihrer Tür Wache standen, miteinander geflüstert hatten, und außerdem von Graselle, die gekommen war, um sie zu pflegen.
»Er hat dich in seiner Nähe einquartiert«, murmelte Graselle, während sie sie mit einem Schwamm wusch. »Ich weiß nicht warum, aber irgendwas ist anders. Er will etwas von dir, und er wird es auch bekommen. Was aber bedeutet, dass du Macht hast.«
Obwohl sie sich schon einigermaßen erholt hatte, verspürte Naif keine Lust sich zu unterhalten. Zu frisch war das Erlebte noch.
Stattdessen sah sie sich in dem weiß gekalkten Raum um. Er schien – ebenso wie die anderen Höhlen auch – aus dem Felsen von Ixion herausgeschlagen worden zu sein. Überall an den Wänden hingen Kreuze und Statuen wie die in der Grotte, und das schwere Bett aus Holz und Eisen, auf dem sie lag, war mit weißen Leinenlaken bezogen.
Graselle leerte die Schale mit Waschwasser in einen Eimer und zog das saubere Laken hoch bis über ihre Taille.
Naif schloss die Augen. Sie wollte jetzt nicht an ihren Körper denken oder an Lenoir, doch Graselles Worte hatten ein filigranes Gespinst aus Hoffnung um ihr krankes Herz gesponnen. Macht .
»Sieh mich an«, verlangte Graselle.
Naif schlug die Augen auf. Graselle war ihr so nah, dass sie ihre parfümierte Haut riechen und die schwarzen mottenförmigen Flecken in ihren gelbbraunen Augen sehen konnte.
»Du weißt doch jetzt, was Erleuchtung bedeutet?«
Naif wandte den Blick ab, doch Graselle ließ es nicht zu. Mit starken Fingern packte sie Naifs Kinn und zwang sie, sie anzusehen. »Sag mir, was es ist.«
»Es ist … ich glaube … es ist … Vergnügen«, keuchte Naif.
»Vergnügen. Ganz recht. Und deswegen bist du hergekommen. Nach Ixion.«
»Nein – ich … ich …« Aber Naif brachte es nicht über die Lippen. Sie hatte vergessen, warum sie hier war.
»Alle kommen sie um des Vergnügens willen her. Selbst dann, wenn sie glauben, es wäre nicht so. Manchen allerdings fällt es schwer, es zu akzeptieren, und dann werden sie vorher verrückt. Die meisten kommen aus Gesellschaften, die auf Schuld und Regeln aufgebaut sind. Die Riper wollen, dass wir uns davon befreien – wobei manche
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