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Rette mich vor dir

Rette mich vor dir

Titel: Rette mich vor dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahereh H. Mafi
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damit vermitteln wollte. Dass es nicht gut ist für meinen Sohn, wenn er solche Bindungen aufbaut. Es ist meine Pflicht als Vater, diesem Unfug ein Ende zu machen.«
    Unter meiner Zunge sitzt ein faustgroßer Stein, und ich kann ihn nicht ausspeien. Mir ist übel, so entsetzlich übel. Die Bosheit dieses Mannes übersteigt meine Vorstellungskraft.
    Nur ein heiseres Flüstern kommt aus meiner Kehle, als ich frage: »Und warum töten Sie mich dann jetzt nicht?«
    Er zögert. Antwortet: »Ich weiß nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie hübsch Sie sind. Ich fürchte, mein Sohn hat nie erwähnt, dass Sie wunderschön sind. Und etwas Schönes zu töten ist sehr schwierig.« Er seufzt. »Außerdem haben Sie mich überrascht. Sie sind pünktlich hier eingetroffen. Allein. Sie sind offenbar wirklich bereit, sich selbst zu opfern, um das Leben dieser wertlosen Kreaturen zu retten, die dumm genug waren, sich fangen zu lassen.«
    Er saugt scharf die Luft ein. »Vielleicht könnten wir Sie einfach behalten. Wenn Sie sich nicht als nützlich erweisen, dann doch zumindest als unterhaltsam.« Er legt sinnend den Kopf schief. »Dann müssten Sie wohl allerdings mit mir ins Kapitol kommen, denn zu meinem Sohn habe ich keinerlei Vertrauen mehr. Er hat seine Chance gehabt.«
    »Danke für das Angebot«, erwidere ich. »Da würde ich lieber von einer Klippe springen.«
    Sein Lachen klingt wie 100 Glöckchen, fröhlich und herzhaft und ansteckend. »O je.« Er lächelt, breit und freundlich und entwaffnend aufrichtig. Schüttelt den Kopf. Ruft über die Schulter zu einem anderen Raum – der eine Küche sein könnte – hinüber: »Würdest du bitte reinkommen, Sohn?«
    Und ich kann nur denken, dass ich manchmal sterbe, explodiere, 2 Meter tief unter der Erde liege und nach einem Fenster suche, und dann kommt jemand und übergießt mich mit Feuerzeugbenzin und hält mir ein Streichholz ans Gesicht.
    Ich spüre, wie meine Knochen in Flammen stehen.
    Warner ist hier.

35
    Er erscheint in der Tür gegenüber. Sieht genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung habe. Goldene Haare, makellose Haut, smaragdgrün schimmernde Augen. Ein erlesen schönes Gesicht, das er, wie ich nun weiß, von seinem Vater geerbt hat. Ein Gesicht von der Sorte, an die heutzutage niemand mehr glaubt – harmonisch und symmetrisch, so vollkommen, dass es beinahe ein Affront ist. So ein Gesicht wünscht man sich nicht. So ein Gesicht kündet von Aufruhr und Gefahr und Ausschweifung.
    Es ist übertrieben.
    Es ist zu viel.
    Es macht mir Angst.
    Schwarz, Grün, Gold sind seine Farben. Der pechschwarze Anzug schmiegt sich an den schlanken muskulösen Körper. Blütenweißes Hemd und schlichte schwarze Krawatte als ideale Ergänzung. Warner steht ganz aufrecht und reglos da. Auf andere Betrachter würde er imposant wirken, obwohl er den rechten Arm noch in einer Schlinge trägt. Er ist ein Junge, dem man gerade erst beigebracht hat, ein Mann zu sein, die Kindheit aus seinem Leben zu löschen. Seine Lippen wagen es nicht zu lächeln, seine Stirn ist glatt. Man hat ihn gelehrt, seine Gefühle zu verbergen, seine Gedanken bei sich zu behalten, nichts und niemandem zu vertrauen. Sich mit allen erdenklichen Mitteln das zu nehmen, was er haben will. Ich sehe das alles mit klarem Blick.
    Doch auf mich wirkt er anders.
    Er starrt mich an, und sein Blick ist entwaffnend. Gefährlich. Zu stark, zu tief. In seinen Augen liegt ein Ausdruck, den ich nicht erkennen will. Warner sieht mich an, als hätte ich ihn besiegt. Als hätte ich ihn ins Herz geschossen und zerstört, als hätte ich ihn sterben lassen, nachdem er mir seine Liebe offenbart hat. An die ich niemals geglaubt habe. Mein Atem stockt stockt stockt, als ich den Schmerz in seinen Augen sehe, ein Schmerz, auf den ich nicht gefasst war.
    Und nun bemerke ich den Unterschied. Ich sehe, was anders ist.
    Er bemüht sich nicht, seine Gefühle vor mir zu verbergen.
    Meine Lunge ist eine Lügnerin, behauptet, sie könne sich nicht dehnen, um zu lachen, um sich über mich lustig zu machen, und meine Finger flattern, versuchen dem Gefängnis meiner Knochen zu entkommen. Als wollten sie schon seit 17 Jahren davonfliegen.
    Flüchte , sagen meine Finger zu mir.
    Atme , sage ich selbst zu mir.
    Warner, das Kind. Warner, der Sohn. Warner, der Junge, der sein Leben nicht richtig bewältigen kann. Warner mit einem Vater, der seinem Sohn etwas beibringen will, indem er das Einzige umbringt, wonach der Junge jemals verlangt hat.
    Warner, der

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