Rette mich vor dir
gar nichts von mir gelernt –«
Ich kann mir nicht erklären, was als Nächstes geschieht.
Ich weiß nur, dass ich Anderson plötzlich an die Wand presse und dass meine Hand seinen Hals zudrückt. Dass ich von einer so rasenden glühenden Wut erfüllt bin, als hätte mein Gehirn Feuer gefangen und würde im Zeitraffer zu Asche zerfallen.
Ich drücke noch fester zu.
Er spuckt. Keucht. Versucht kraftlos meine Arme oder einen anderen Teil meines Körpers zu erreichen. Läuft dabei rot und blau und lila an, und ich sehe das mit Freuden. Genieße es.
Ich glaube, ich lächle sogar.
Ich raune in sein Ohr: »Pistole fallen lassen.«
Er gehorcht.
Ich lasse ihn los und schnappe mir die Waffe.
Anderson wälzt sich röchelnd und hustend am Boden, versucht zu sprechen, versucht etwas zu greifen, womit er sich wehren kann, und seine Qualen erheitern mich. Ich schwebe in einer Wolke reinen puren Hasses gegenüber diesem Mann und allem, was er getan hat. Und ich würde mich am liebsten hinsetzen und Tränen lachen, bis ich meine Kraft aufgebraucht habe und ich zufrieden bin. Ich verstehe plötzlich so vieles. So vieles.
»Juliette –«
»Warner«, sage ich ganz leise und starre auf den verkrümmten Anderson am Boden, »du musst mich jetzt hier alleine lassen.«
Ich wiege die Pistole in Händen. Bewege behutsam den Auslöser. Versuche mich zu erinnern, was Kenji mir beigebracht hat. Wie man zielt. Den Arm ruhig hält. Den Rückstoß ausgleicht.
Ich lege den Kopf schief. Mustere Andersons Körperteile.
»Du«, röchelt er, »du –«
Ich schieße ihn ins Bein.
Er schreit. Das glaube ich jedenfalls. Ich höre nichts mehr. Meine Ohren scheinen voller Watte zu sein, ich könnte niemanden hören, der mit mir sprechen wollte, weil alles so gedämpft ist, und ich muss mich so angestrengt konzentrieren, dass ich auf nichts achten kann, was sich hinter mir abspielt. Ich höre nur den Schuss in meinem Kopf. Und beschließe, dass ich das wiederholen möchte.
Ich schieße ihn ins andere Bein.
So viel Geschrei.
Das Grauen in seinen Augen finde ich vergnüglich. Auch das Blut, das nun seine edle Kleidung durchtränkt. Ich würde ihm gerne sagen, dass er nicht gut aussieht, wenn er den Mund so aufreißt, aber er legt wohl sowieso keinen Wert auf meine Meinung. Ich bin ja nur ein dummes kleines Mädchen für ihn. Ein dummes kleines Mädchen, hübsch, aber zu feige, sich selbst zu verteidigen. Ach so, und er hätte mich gerne behalten. Als eine Art Spielzeug. Ich merke schlagartig, dass ich mich nicht mehr länger mit ihm befassen sollte. Es ist witzlos, Worte auf jemanden zu verschwenden, der ohnehin sterben wird.
Ich ziele auf seine Brust. Versuche mich zu erinnern, wo das Herz sitzt.
Nicht ganz links. Nicht ganz in der Mitte.
Genau – hier .
Perfekt.
37
Ich bin eine Diebin.
Ich habe dieses Notizheft und diesen Stift einem der Ärzte aus seinem Kittel gestohlen, als er nicht hinschaute, und beides schnell eingesteckt. Kurz bevor er diese Männer bestellte, die mich abholten. Die Männer mit den seltsamen Anzügen, dicken Handschuhen, Gasmasken. Ich dachte, das seien Aliens. Ich weiß noch, dass ich das dachte, weil sie unmöglich Menschen sein konnten, diese Typen, die mir hinter dem Rücken Handschellen anlegten, mich auf den Sitz fesselten. Sie haben mich mit Elektroschockpistolen gequält, weil sie mich schreien hören wollten. Aber ich habe nur gewimmert und kein Wort gesagt. Tränen rannen mir über die Wangen, aber ich weinte nicht.
Ich glaube, das hat die wütend gemacht.
Sie haben mir ins Gesicht geschlagen, um mich zu wecken, obwohl meine Augen offen waren, als wir ankamen. Jemand nahm mir die Fesseln, aber nicht die Handschellen ab und trat mich in beide Kniekehlen, bevor er mir befahl aufzustehen. Ich versuchte es. Ich versuchte es, aber es ging nicht, und schließlich schoben mich 6 Hände hinaus, und ich lag mit blutendem Gesicht eine Weile auf dem Asphalt. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie sie mich ins Gebäude schleiften.
Mir ist dauernd so kalt.
Ich fühle mich leer, als sei nichts mehr in mir außer diesem gebrochenen Herzen, diesem einzigen Organ in einer Hülle. Ich fühle das Pochen als Echo in meinen Knochen. Die Wissenschaft behauptet, ich hätte ein Herz. Die Gesellschaft behauptet, ich sei ein Monster. Und das weiß ich, natürlich weiß ich es. Ich weiß, was ich getan habe. Ich erwarte kein Mitgefühl.
Doch manchmal frage ich mich – manchmal denke ich –, wenn ich
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