Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen (German Edition)
wecken im Sport die Nationalmannschaften der einzelnen Länder! Das wäre auf europäischer Ebene undenkbar.
Andere wenden ein: Dann entsteht mit Europa der Einheitsbrei eines neuen, noch größeren Zentralstaats. Das ist bestimmt nichts Erstrebenswertes. Brüssel ist umständlich und bürokratisch. Es ist für viele eher abstoßend denn das Muster einer neuen Hauptstadt, die Paris, Madrid oder Berlin ersetzen könnte. Brüssel als politisches Zentrum Europas? Das wäre ein zu hoher Preis für den Euro.
Also geht nichts? Griechische Tragödien enden meist mit dem Tod eines der Handelnden, in jedem Fall mit Tränen und Trauer. Es gibt dort aber auch eine Katharsis, eine Reinigung. Die britische Wochenzeitschrift The Economist , bekanntermaßen kein großer Freund der europäischen Integration, zeigte vor einem Jahr auf einem Titelbild den Pariser Eiffelturm, dessen Spitze leicht umgeknickt war. Dazu stellten die Autoren die Frage: »Can anything perk up Europe?« – Gibt es etwas, das Europa wieder aufrichten kann?
Zum Glück ist Geschichte voller Überraschungen. Auf Island hätte vor drei Jahren keiner einen Pfifferling gewettet. Es befand sich in einem ähnlichen Schlamassel wie Griechenland heute. Sein öffentliches Defizit lag bei 13,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, seine Verschuldung bei über 100 Prozent, sein Leistungsbilanzfehlbetrag bei 17,7 Prozent. Das Land machte eine Rosskur durch. Der private Verbrauch verringerte sich um 20 Prozent. Jetzt wächst die Wirtschaft wieder, der Staatshaushalt ist in Ordnung.
In meinem wöchentlichen Blog spekuliere ich am Ende jedes Jahres immer über mögliche Entwicklungen in den kommenden zwölf Monaten. Es ist eine der Ausgaben, die am meisten gelesen wird. Ich suche dabei häufig auch sehr unwahrscheinliche Ereignisse und bin immer wieder überrascht, wie viele davon tatsächlich eintreffen.
Krisen kommen und gehen. In Europa gab es stets ein Auf und Ab. In den 1970er Jahren war Europa nur auf die gemeinsame Landwirtschaft fixiert und spielte sonst kaum eine Rolle. Dann kam Schwung in die Gemeinschaft durch Männer wie Helmut Schmidt und Giscard d’Estaing, Helmut Kohl, Theo Waigel und François Mitterrand und nicht zu vergessen den genialen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors. Sie führten die Gemeinschaft zum Binnenmarkt, zur Währungsunion und zur politisch wichtigen Osterweiterung. Nach diesem Kraftakt ist die Europäische Union wieder müde geworden und abgeschlafft.
Jetzt verändert sich die Welt wieder. Amerika und China gewinnen an Bedeutung, »Chimerika« drängt Europa an den Rand. Der chinesische Ministerpräsident reist durch Europa, verteilt großzügig Gelder und verspricht den einzelnen Staaten eine große Zukunft. So kauft man sich politischen Einfluss. Brüssel, den Sitz der Gemeinschaft, hat er bewusst nicht besucht. In Washington hat Präsident Obama sich fast zwei Tage Zeit genommen, um der deutschen Bundeskanzlerin in einer aufwendigen Zeremonie die Freiheitsmedaille zu überreichen. Von Europa war da nicht die Rede.
In der Welt heute hat nur noch eine Nation, eine Gemeinschaft etwas zu sagen, die mehr als 200 oder 300 Millionen Einwohner hat. Der alte europäische Nationalstaat (wie auch die vielen Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika) spielen keine Rolle mehr. Die Unternehmen stellen sich dem globalen Wettbewerb und nehmen die neuen Herausforderungen an. Sportler wollen lieber Welt- als Europameister sein.
Kann man sich vorstellen, dass die europäischen Politiker auf Dauer auf der Verliererstraße bleiben möchten? Könnte es nicht doch sein, dass die europäischen Nationalstaaten allmählich einsehen, dass man gemeinsam besser lebt und mehr erreicht? Dass schwache Länder wie Griechenland, Irland und Portugal durch solches Zusammenrücken wieder auf die Beine kommen und der Euro gestärkt aus der Krise hervorgeht? Aus heutiger Sicht klingt das für die meisten absurd, scheint ihnen zumindest höchst unwahrscheinlich. Aber ist es deswegen automatisch ausgeschlossen?
Man muss die Entwicklung Europas in einer historischen Perspektive sehen. Als die Vereinigten Staaten von Amerika so alt wie die Europäische Union waren (das war etwa das Jahr 1830), da dachte noch niemand an einen gemeinsamen Dollar. Der Bürgerkrieg zwischen den Nord- und den Südstaaten stand noch bevor. Und was ist heute aus diesem Land geworden?
II. Das Ende einer Geisterfahrt
7. März 2011 Ich sitze gerade im Flugzeug von Neu-Delhi nach
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