Rettet unser Geld
Besonderheiten jedes Landes, die sich in Sprache, Kultur, Temperament, Mentalität und sogar der Art, Geschäft und Handel zu treiben, niederschlagen. Gerade in diesen unverwechselbaren Eigenheiten, in denen sich die Nationen voneinander unterscheiden, entdeckte ich den größten Reiz. Deshalb habe ich immer der Versuchung widerstanden, alles auf Gleichheit und Einheitlichkeit einzuschwören und einem vorgegebenen System unterzuordnen. Jeder sollte nach eigener Fasson sein IBM-Geschäft betreiben, und der Erfolg gab dieser individualistischen Strategie Recht.
Andererseits kann man nicht behaupten, dass europäische Politiker sich generell gegen die Vielfalt stemmen. Es ist geradezu Mode geworden, jede Abweichung von der Norm und jede Minderheit besonders zu pflegen und zu schützen. Nicht zufällig gibt es die ehrenamtliche Position eines »Botschafters der Kampagne Charta der Vielfalt«, in der, neben dem Ehrenpräsidenten des DIHK, Ludwig Georg Braun, dem Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Heinrich Haasis, der Geschäftsführerin der Öger Tours, Nina Öger, und anderen, auch ich vertreten bin. Die im Kanzleramt angesiedelte Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Maria Böhmer, setzt mit ihrer Charta der Vielfalt auf ein, gut Deutsch gesagt, Diversity Management des Arbeitsmarktes. Vielfalt steht also hoch im Kurs in Deutschland. Und doch möchten unsere Politiker und Medien, dass möglichst alles gleich gemacht wird, vor allem in Europa. Sie übersehen dabei, dass das Gegenteil von Vielfalt - Einfalt sein kann.
Auch die Türkei zählt zu den Mosaiksteinen Europas, deren individuelle Stärken im Facettenreichtum der Gemeinschaft nicht fehlen dürfen. Schon in meinem ersten Buch habe ich mich für eine Aufnahme der Türkei in die EU ausgesprochen,
allerdings würde ich heute differenzieren: Das Problem liegt nicht in der Erweiterung selbst, für die ich unbedingt plädiere, sondern in dem, was Brüssel stillschweigend voraussetzt, der Vertiefung.
Unter dem Namen »Integration« ist sie in Deutschland und wohl auch anderen nordeuropäischen Ländern offensichtlich gescheitert, und als Folge hat sich das Parteienspektrum vielerorts nach rechts verschoben. Die Vorstellung, dass Integration oft gar nicht gewollt ist - und zwar weder von den Einheimischen noch von den muslimischen Zuwanderern -, scheint unseren Politikern einfach nicht nachvollziehbar. Heißt es nicht schon bei Schiller: »Alle Menschen werden Brüder«? Gewiss, aber man sollte die schöne, heile Welt der Poesie nicht mit der Wirklichkeit verwechseln.
Auch wenn Brüssel es noch nicht zu bemerken vorgibt, steht die europäische Gemeinschaft heute vor einer klaren Alternative: Entweder verstehen wir uns als Transfergemeinschaft, in der alle das Geld aus einem gemeinsamen Topf beziehen und die meisten sich heimlich überlegen: Wie hole ich mehr heraus, als ich hineingebe? Oder wir entwickeln uns zu einer Gemeinschaft des fairen Wettbewerbs zwischen freien Partnern, wodurch schlagartig der Binnenmarkt und zugleich die globale Konkurrenzfähigkeit gestärkt würden.
Dass dies den kleineren Partnern Nachteile brächte, steht nicht zu befürchten. Für mich beweist die NAFTA, dass auch schwächere Staaten wie Mexiko und Kanada von der Wirtschaftsunion mit einem mächtigeren und ökonomisch stärkeren Staat wie den USA profitieren können, ohne dabei die eigene Identität und Souveränität aufgeben zu müssen. Das Problem mit der »Vertiefung« haben die Amerikaner allerdings auf ihre spezielle Weise gelöst: Den 1078 Kilometer langen Hightech-Zaun, der die USA von Mexiko abgrenzt, haben
sie sich eine Milliarde Dollar kosten lassen, und selbst Menschenrechtspräsident Barack Obama hat dagegen keine Einwände erhoben.
Ich finde, die Türkei sollte die Chance bekommen, der Welt zu beweisen, dass auch ein muslimisches Land voll demokratiefähig ist, die Menschenrechte achtet und eine funktionierende Marktwirtschaft entwickeln kann - ohne dass wir Deutschen beweisen müssen, dass unsere Aufnahmefähigkeit für weitere türkische Zuwanderung unbegrenzt ist. Ich plädiere also auch in diesem Fall für Erweiterung, aber eben ohne die Vertiefung, die uns mit den von Sarrazin beschworenen Szenarien konfrontiert.
Übrigens wäre die Türkei unter den 57 muslimischen Ländern das erste, das sich zugleich für Demokratie, Menschenrechte und Marktwirtschaft ausspricht - und das dürfte spätestens dann
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