Rettet unser Geld
dagegen haben nur wir, und daran kann man sehen, wie es mit der Vertiefung bestellt ist.
Auch der Fall Sarrazin hängt eng mit der EU zusammen. Schlaglichtartig hat er die Probleme aufgezeigt, die sich mit der Integration, der ethnischen Vertiefung sozusagen, ergeben. Sieht man als Kernstück die Möglichkeit, dass sich im Grunde jede ethnische Gruppe, die aus einem EU-Land stammt, in beliebiger Anzahl an jedem Ort der Gemeinschaft ansiedeln kann, dann bringt dies unlösbare Probleme mit sich: Was, wenn diese Gruppen oder Teile von ihnen sich nicht integrieren wollen und zu diesem Zweck auf ihre Freiheitsrechte pochen? Und wie lässt sich nationale Identität überhaupt noch territorial definieren, wenn Grenzen obsolet sind und die Migrantenströme dorthin fließen, wo die angenehmsten Lebensbedingungen herrschen?
Als ich 1998 mein erstes Buch, Jetzt oder nie - ein Bündnis für Nachhaltigkeit in der Politik, schrieb, stand mir dieses Dilemma bereits klar vor Augen. Europa musste irgendwann entscheiden, was es wollte - das eine oder das andere, Vertiefung oder Erweiterung, denn beides zugleich ging nicht. Damals wie heute plädiere ich für die Erweiterung und konnte schon 1998 »triftige Gründe anführen. Erstens hat die Vertiefung ein Niveau erreicht, das erst einmal verdaut werden muss. Es gibt die ersten Übersättigungserscheinungen … Zweitens gibt es viele Gründe dafür, dass eine weitere Vertiefung zur Verhinderung von Wettbewerb zwischen den einzelnen Ländern führen wird, von Wettbewerb, der für ein insgesamt stärkeres Ganzes dringend gebraucht wird«.
Auch deshalb sage ich Nein zur Vertiefung, weil sie sich mit der Realität nicht vereinbaren lässt und deshalb auch von niemandem beherzigt wird. Stattdessen verkommt sie zu einem reinen Lippenbekenntnis, bei dem der Ehrliche, der die Schönrednerei für bare Münze nimmt, das Nachsehen hat. Damit bestreite ich nicht, dass Vertiefung möglich ist - allerdings nur dann, wenn sie mit Vertragsgewalt durchgesetzt wird, wobei unversehens ein zentralistischer Moloch entsteht, neben dem die einzelnen Mitglieder nur noch als Bittsteller und Befehlsempfänger erscheinen. Und davor sollte uns schon die Erfahrung der Geschichte bewahren.
Eine Erweiterung dagegen nützt allen Beteiligten, ohne ihre Souveränität anzutasten. Man bindet sich nur so weit, als sich mit der eigenen Freiheit vereinbaren lässt. Man behandelt einander mit Entgegenkommen, und doch kann jeder so bleiben, wie er ist. Die Erfahrung zeigt, dass sich wirtschaftlicher Austausch im selben Maße entwickelt, wie die Zahl der beteiligten Länder zunimmt. In meinem Buch habe ich damals auf die Wirtschaftsorganisation NAFTA hingewiesen, in der die Vereinigten Staaten, Kanada und Mexiko eine Handelsgemeinschaft bilden, die sich auf die Konkurrenzfähigkeit aller Beteiligten positiv ausgewirkt hat. Übrigens ließ sich dieses Erfolgsmodell verwirklichen, ohne dass die USA auf ihrem Dollar als Gemeinschaftswährung bestanden hätten - wie die Mexikaner ihren Peso behielten, so die Kanadier ihren Kanadischen Dollar.
Die Gefahr, die eine Erweiterung mit sich bringt, solange die Probleme der Vertiefung nicht geklärt sind, lässt sich am Beispiel Rumänien ablesen. Es war Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac gewesen, der sich zusammen mit Gerhard Schröder nachdrücklich für eine Aufnahme des einstigen Ostblocklandes in die EU einsetzte. Wie aus einer Willkommensbotschaft
hervorgeht, die er Rumänien und Bulgarien am 31. Dezember 2006 übersandte, war sein Einsatz nicht ganz selbstlos. »Im Namen Frankreichs und aller Franzosen«, schrieb Chirac, »möchte ich Sie in der EU willkommen heißen«. Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass es sich hier nicht um eine lose Partnerschaft, sondern eine echte Vertiefung der Beziehungen handelte, betonte er, es sei »nur natürlich, dass Sie Ihrer Familie, Europa, beitreten«.
Und da man sich nun einmal in familiärer Weise nähergekommen war, konnte Chirac auch gleich die Katze aus dem Sack lassen: »Mit dem Beitritt Ihrer beiden Länder zur EU sind die Mitgliedstaaten der Frankophonie in der Mehrheit.« Mit diesem ungewohnten Begriff, zu deutsch etwa »Französischsprachigkeit«, fasst Paris sämtliche Länder zusammen, in denen Französisch entweder gesprochen oder als Lehrsprache benutzt wird. Dahinter steht offenbar die Hoffnung, man könne auf diese Weise die Dominanz der Anglophonie, der verbreiteten Englischsprachigkeit, brechen. Eine
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