Rettet unser Geld
alberne Vorstellung, finde ich. Obwohl die in Europa verbreitetste Sprache die deutsche ist, würde niemand bei uns auf die Idee kommen, eine Gemeinschaft der »Germanophonie« zu gründen, um den Franko- und Anglophonen Paroli zu bieten. Für Chirac scheint die »Frankophonie« aber Grund genug gewesen zu sein, zwei Entwicklungsländer ohne weiteres in die hochentwickelte EU aufzunehmen.
Nun aber zum rumänischen Dilemma: Im festen Glauben, jede Erweiterung bringe automatisch eine Vertiefung - man könnte auch sagen »Verbrüderung« -, hieß man die neuen Länder nicht nur in der Gemeinschaft willkommen, sondern sicherte ihnen auch die damit verbundenen Privilegien wie Freizügigkeit der Bewegung und Niederlassungsfreiheit zu. Nun gibt es in Rumänien eine Volksgruppe, die sich traditionell
freizügig bewegt und gelegentlich auch niederlässt, die Roma. Diese nahmen den Willkommensgruß des Staatspräsidenten beim Wort und machten sich massenhaft in Richtung Frankreich auf, um endlich zu ihrer »Familie« zu stoßen.
Wer viel durch Frankreich reist, trifft dort schon immer auf die Gitans , die etwa in der Provence zur Folklore gehören. Nebenbei bemerkt habe ich als Jazz-Fan eine große Schwäche für die Musik dieses Volkes, bewundere Django Reinhardt und weigere mich, politisch korrekt von Roma-und-Sinti-Jazz zu sprechen - für mich ist und bleibt es Zigeuner-Jazz, und den gibt es wirklich nur einmal auf der Welt.
Schon immer zieht es das »fahrende Volk« in den Süden Frankreichs, und in jedem Mai verwandelt sich die Küstenstadt Saintes-Maries-de-la-Mer in die »Hauptstadt der Roma«, wo Zehntausende von ihnen in ihren Wohnanhängern zusammenströmen. Seit der Aufnahme Rumäniens in die EU sind es offenbar noch mehr geworden. Im Vertrauen auf die nun ausgebrochene Freizügigkeit reisten sie an und ließen sich nieder, wo es ihnen gefiel. Damit hatte Chiracs Nachfolger ein ernstes Problem. Einerseits wollte man die EU vergrößern und die Frankophonie stärken - aber die neuen Ansiedlungen der Gitans , die nun Roms genannt wurden, ließen sich den Franzosen einfach nicht vermitteln. Das war ihnen entschieden zu viel EU. Darauf ließ Sarkozy die unerwünschten Europäer massenweise deportieren und regte sich dann auf, als die Brüsseler Grundrechte-Kommissarin Viviane Reding ihm in die Parade fuhr.
Frau Reding kenne ich aus ihrer Zeit als Kommissarin für Verbraucherschutz, als sie eine EU-weite Senkung der Telefongebühren durchgesetzt hatte. Dafür wurde ihr 2007 der Deutsche Mittelstandspreis verliehen, und ich durfte die Laudatio halten. Beim Konflikt dieser mutigen Frau mit dem französischen
Ministerpräsidenten waren die Argumente beider Seiten nachvollziehbar, wobei mir auffiel, dass Sarkozy fast wie ein französischer Sarrazin auftrat, doch ohne wie dieser von der heimischen Presse gleich aufs Haupt zu bekommen. Was er allerdings nicht begriffen hatte, war der Umstand, dass Frau Reding mit ihrem Einsatz zugunsten der Roma eben jene Freizügigkeit verteidigte, die sein eigener Vorgänger durchgesetzt hatte.
Überflüssig zu betonen, dass bei der Einführung des Euro oder besser gesagt: bei der Einführung gewisser Staaten in den Euro derselbe Fehler begangen wurde wie beim Willkommensgruß an die osteuropäischen Entwicklungsländer. Man wollte möglichst viele an Bord haben und übersah, dass nur wenige die Kraft zum Rudern mitbrachten, während die meisten gerne einstiegen und die schöne Aussicht genossen oder sich über den Proviant hermachten.
Deshalb sollte die EU sich von der Vertiefung um jeden Preis lossagen - ja, sie sogar teilweise zurückführen und stattdessen auf Erweiterung setzen. Wenn wir die EU auf ihr »Kerngeschäft« beschränken, den europäischen Wirtschafts raum, der einen Wettbewerb zwischen souveränen Staaten ermöglicht, dann können wir auch noch weitere Länder aufnehmen, ohne eine Schwächung der Gemeinschaft befürchten zu müssen; vor allem, ohne eine weitere Schwächung Deutschlands hinnehmen zu müssen, das unter der Vertiefung am meisten leidet. Dagegen wird sich eine Erweiterung des Binnenmarkts um Länder wie die Ukraine, Weißrussland und natürlich auch Island nur positiv für uns auswirken.
»Europa hat seinen Glanz dem Wettbewerb der Nationen zu verdanken«, sagte ich im Vorwort. Mir persönlich erschien die Ländervielfalt Europas immer als Trumpfkarte unseres Kontinents. Schon zu meiner Zeit als IBM-Chef für Europa legte ich
großen Wert auf die
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