Rettungskreuzer Ikarus Band 007 - Netzvirus
Gedanken weiter.
Er hatte dieses Sage-was-du-gerade-denkst-Spielchen mit Sally schon oft –
und erfolgreich – gespielt. Und mehr als einmal war er froh darüber
gewesen, dass ihre Büros hundertprozentig abhörsicher waren.
»Dann ist es vielleicht kein einfaches Virus.«
Sally lachte kurz und etwas gequält auf.
»Nein, einfach ist es sicher nicht. Es hat sich die relevanten Sicherheitsdaten
so gekonnt herausgepickt, dass nichts mehr läuft. Unter uns, Losian: Ich
könnte im Moment mehr für die Überwachung von Vortex Outpost
tun, wenn ich an jede Sichtluke einen Mann mit guten Augen stellen würde.
An der Effektivität dieses Virus' stören mich zwei Sachen ganz besonders.
Erstens, woher wusste der Attentäter, wo genau die entscheidenden Daten
sind, und zweitens, warum macht er nicht einmal einen Hehl daraus, dass er die
Station hilflos haben will? Ich meine, er hätte auch einen großflächigen
Angriff starten und gleich vom Unterhaltungsprogramm bis hin zu den Finanzdaten
alles zerstören können. Dann wären wir uns nicht einmal sicher
gewesen, was das eigentliche Ziel der Aktion gewesen wäre.«
»Nun, die erste Sache deutet darauf hin, dass der Angriff hier von innen
stattfand – von jemandem, der Ahnung hat, vielleicht aus der Ingenieursabteilung
selbst. Dass Ihre Feinde sich längst bequem auf Vortex Outpost eingerichtet
haben, wissen wir beide – denken Sie nur an den manipulierten Reinigungsautomaten,
der Sie fast erschossen hätte! Es ist unmöglich, alle Leute hier auf
ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen. Viele haben ihre Meinung
über die politischen Vorgänge im Raumcorps nie Publik gemacht. Wir
könnten einen Ihrer erbittertsten Gegner einstellen und wüssten es
nicht.«
Sally nickte, als der alte Vertraute ihre Gedanken in Worte fasste. Verrat aus
den eigenen Reihen war eine schmutzige und in letzter Zeit leider ziemlich verbreitete
Angelegenheit. Aber es würde vielleicht später Gelegenheit geben,
das schwarze Schaf aufzuspüren.
»Und was fällt Ihnen zum zweiten Punkt ein?«
Losian war davon überzeugt, dass Sally längst zu dem gleichen Ergebnis
gekommen war, aber er antwortete trotzdem.
»Die Tatsache, dass unser Attentäter nichts verschleiert, zeigt, dass
er es nicht nötig hat. Er weiß, wir können es nicht rechtzeitig
schaffen, die Daten wiederherzustellen oder die Backups zu reparieren.«
»Und das bedeutet, dass der zweite Teil dieser Aktion vermutlich schon
auf dem Weg ist.«
»Eben das.«
Die Chefin der Rettungsabteilung stand auf und stützte sich auf den Schreibtisch.
»Ich würde gerne glauben, dass die Leute von der Ikarus es
schaffen, das Virus bei ihrem Rettungseinsatz auszuschalten, aber wir können
uns unmöglich darauf verlassen. Machen Sie alle Stationen kampfbereit,
vorerst allerdings nur mit stillem Alarm. Wie viele unserer Schiffe befinden
sich im Orbit um die Station?
»Nur eines – und das ist wegen umfassender Wartungsarbeiten zurzeit
nicht einsatzbereit. Dazu natürlich noch die Ikarus ...«
»Ich will sie nicht für einen Kampfeinsatz, Losian. Ich brauche ihre
Ortungsgeräte, damit sie die Blindheit der Station kompensieren –
vielleicht. Ich schicke die Crew zurück an Bord, Doktor Anande kann Weenderveen
und Trooid alleine überwachen. Hoffen wir, dass wir noch ein bisschen Zeit
haben.«
»Und wenn nicht?«
Zu seiner Überraschung lächelte Sally McLennane, selbst wenn es eine
eher boshafte Geste war.
»Dann hoffe ich, dass ich unseren Feind gut genug kennen gelernt habe –
und sich Gefälligkeiten der Vergangenheit bezahlt machen können.«
In dem grauen Halblicht glomm eine handgroße, rote Leuchtplatte über
einem der Schotte auf. Obwohl kein Alarmton erklang und es keine Durchsage der
beiden Piloten gab, die hinter dem runden Metalltor in ihrer eigenen Welt aus
Lichtern und Geräuschen saßen, änderte sich die Atmosphäre
in der Hauptzelle des Schiffes augenblicklich. Müßige Bewegungen,
so unauffällig sie auch gewesen sein mochten, wurden eingestellt, die Köpfe
der Uniformierten neigten sich, als würden sie lauschen. Jeder verharrte
in der Bewegung und manche Hand senkte sich zuvor noch auf die Waffe. Das Dröhnen
des Antriebs änderte sich unmerklich, wurde etwas leiser wie das Schnurren
einer gigantischen Katze, die langsam in Schlaf versank, und die Vibrationen
verloren etwas von ihrer Übelkeit erregenden Stärke.
Minuten
Weitere Kostenlose Bücher