Rettungskreuzer Ikarus Band 015 - Die abwartende Dominanz
ich kann Sie nicht verstehen. Ich habe nie einen so großen
Teil meiner Persönlichkeit verloren wie Sie. Manchmal hatte ich während
eines Alkoholrausches das Gefühl, vor allem deswegen, weil ich mich vergessen
wollte. Ich werde daher jetzt nicht so tun, als müsse ich Verständnis
heucheln. Ich kann nur eines sagen: Ich weiß, wer Sie für mich sind.
Ein vollwertiges, unverzichtbares, wichtiges und allen ans Herz gewachsenes
Besatzungsmitglied meines Schiffes. Das hilft Ihnen wahrscheinlich nicht wirklich
weiter. Aber das ist die Orientierung, die ich anzubieten habe. Und wenn Sie
dieses Angebot annehmen wollen, dann, so glaube ich, haben Sie schon eine Menge
darüber erfahren, wer Sie wirklich sind. Ganz unabhängig davon, wer
Sie früher einmal waren.«
Sentenza erhob sich und warf einen Blick auf das Lagezentrum. Zeit, sich dort
wieder blicken zu lassen. Er hörte, wie auch Anande sich erhob.
»Es gibt noch einiges vorzubereiten«, sagte der Arzt. »Ich soll
bei der Organisation des Lazaretts für mögliche Verwundete helfen.
Ich werde einen Gleiter in die Stadt nehmen.«
Sentenza nickte.
»Eine Frage habe ich noch, Doktor ...«
»Was gibt es?«
»Es geht um An'ta. Wir beide müssten uns einmal darüber unterhalten,
wie es möglich ist, dass sie wiedergekehrt ist.«
»Gerne. Ich weiß aber nicht, ob ich viel dazu beitragen kann. Sie
haben die genetischen Tests gesehen. Soweit es erkennbar ist, handelt es sich
um ›unsere‹ An'ta. Ihre Erinnerungen sind vollständig, ihre Persönlichkeit
wirkte anfangs noch etwas desorientiert – aber ich bin kein Psychologe
– und alles in allem habe ich, vom äußeren Anschein abgesehen,
an ihrer Identität keinen Zweifel.«
»Was wissen wir über die Grey?«
Anande hob die Schultern.
»Wir wissen, dass sie ausgezeichnete Genetiker sind. Wir wissen, dass sie
eine Heimatwelt haben, die kaum von Nicht-Grey besucht werden darf. Wir wissen,
dass viele Grey sich auf oft gefahrvolle Vertragsarbeiten in der ganzen Galaxis
einlassen und offenbar in der Lage sind, hochspezialisierte Körper zu ...
züchten. Aber ich kenne keine Details, und An'ta ist der erste Fall einer
Wiedergeburt, der mir begegnet ist.«
»Das ist nicht viel.«
»Ich kann zurzeit nicht mehr bieten.«
»Bleiben Sie am Ball, wenn Sie Zeit dafür haben«, befahl Sentenza
schließlich.
Anande neigte zustimmend den Kopf.
Der Captain holte tief Luft.
»Die Ikarus wird mit Trooid, Weenderveen und Sonja an Bord bald
in den Orbit starten. Wir werden uns nicht direkt am Kampf beteiligen, aber
wir werden alles aufzeichnen. Ein Kampf gegen Joran ist unser aller Kampf.«
Anande nickte.
»Gab es Reaktionen auf die Notrufe der Regierung?«
»Nein, bisher nicht. Es sind jetzt schon zwölf Stunden vergangen.
Immerhin macht man auf der Thunderchild gute Fortschritte. Wenn die Imperialen
nicht innerhalb der nächsten acht Stunden angreifen, wird Pronth zumindest
nicht so wehrlos wie erwartet sein. Aber ich erwarte keine großartigen
Reaktionen auf die Hilfeersuchen – wer will sich schon mit dem Multimperium
anlegen?«
»Ja, das ist wohl wahr. Dann mache ich mich jetzt auf den Weg.«
Sentenza hob die Hand zum Gruß und wollte sich schon abwenden, da hielt
ihn Anande am Arm fest.
»Und ... danke für Ihre Worte. Das bedeutet mir viel. Ich ... ich
werde alles tun, mich auch weiterhin Ihres Vertrauens für würdig zu
erweisen.«
»Das weiß ich!«, erwiderte der Captain knapp, aber mit Wärme
in der Stimme.
Captain Enzilla-Triilo wollte überall sein, aber nicht hier. Sein glockenförmiger
Schädel mit der pergamentartigen Haut, die sich eng an den Knochen schmiegte,
war mit dem mehrteiligen Sensorium fest und unbeirrt auf den Hauptbildschirm
in der Zentrale der Antagonist gerichtet. Er warf keinen Blick nach rechts
und keinen Blick nach links, denn er wusste, dass die unablässig den Raum
der Zentrale durchmessende Gestalt, vor der er sich am liebsten verborgen hätte,
auf jeder der beiden Seiten unvermittelt auftauchen konnte. Kronprinz Joran
hatte persönlich das Kommando über das Geschwader übernommen,
das die Pronth-Hegemonie in die Knie zwingen sollte. »In die Knie zwingen!«,
dachte Enzilla-Triilo sarkastisch. Soweit er informiert war, hatte die Hegemonie
keinerlei militärische Macht aufzuweisen, die zu irgendwas gezwungen werden
musste. Das imperiale Geschwader würde im Hauptsystem auftauchen, ein paar
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