Rettungskreuzer Ikarus Band 032 - Vor der großen Stille
auszugraben.
Jede Hand wurde gebraucht und die KI der Ikarus steuerte die Roboter
so vorbildlich, dass Sentenzas Befehle im Grunde gar nicht nötig waren.
So war es nur logisch, dass er selbst aktiv wurde, und bald war er von Staub
und Dreck bedeckt in die Schutthalden um die Absturzstelle vorgedrungen. Er
benutzte ein Multifunktionswerkzeug, das sowohl als Spaten, Hacke wie auch als
Betonbohrer genutzt werden konnte und durch eine Fusionsbatterie gespeist wurde.
Dennoch taten ihm schnell alle Muskeln und Knochen im Leib weh. Er schwor sich,
direkt nach dieser Mission sein in letzter Zeit arg vernachlässigtes Fitnessprogramm
wieder aufzunehmen.
Es war eine ebenso anstrengende wie eintönige Arbeit. Trotz der Hilfe,
die die Ikarus gebracht hatte, fehlte es überall an Maschinenkraft,
so dass freiwillige Helfer die Räumarbeiten durchführen mussten. Kräftige
Gestalten hatten sich um Sentenza geschart, deren Namen er nicht kannte. Es
war ein komisches Gefühl zu wissen, dass all diese verbissen arbeitenden
Männer und Frauen, die eifrig daran arbeiteten, Leben zu retten, für
ihn im Grunde schon seit Jahrhunderten Staub waren. Doch die Realität,
in der er sich befand, war jetzt , und hier lebten und atmeten diese historischen
Gestalten, sie fluchten, sie weinten und sie hofften. Das war alles, was wirklich
zählte.
Hin und wieder hielten sie in ihrer Arbeit inne, wenn sie eine Leiche oder den
Teil einer solchen fanden. Die Körper wurden herausgezogen und manchmal
brach ein Nachbar oder Freund schluchzend zusammen. Doch die wild zusammen gewürfelte
Gruppe, die sich zunehmen verstand und kooperativ vorging, raffte sich immer
wieder auf. Dann stießen sie auf den nur halb zusammengefallenen Keller,
in dem drei Kinder eng aneinander gedrückt hockten, verstaubt, mit Abschürfungen,
aber wie durch ein Wunder ansonsten unverletzt, die mit großen, dankbaren
Augen ihren Rettern entgegen starrten, als diese Stein um Stein, Betonreste
und anderen Schutt beiseite räumten und ihnen schließlich ins Freie
halfen.
Es waren diese Momente, die ebenso motivierten. Wo diese drei am Leben geblieben
waren, mochten noch Dutzende, ja Hunderte in der Trümmerlandschaft vor
ihnen ausharren und hoffen. Sentenza und seine namenlosen Helfer verdoppelten
ihre Anstrengungen, hielten nur zwischendurch kurz inne, um etwas zu trinken,
und setzten ihre Arbeit dann mit gleicher Intensität fort. Es dauerte keine
zehn Minuten, da legten sie eine erschlagene und zermalmte Familie frei, und
erneut überkam Trauer viele der Freiwilligen. Sentenza war nicht gefühllos,
aber er hatte in den vielen Rettungseinsätzen einiges gelernt, und dazu
gehörte auch, sich des Mitgefühls um jene, zu denen er zu spät
gekommen war, erst dann zu ergeben, wenn der Einsatz vorbei war und keine Chance
mehr bestand, doch noch jemand anderen zu retten. Er war es den Überlebenden
schuldig, jetzt die Fassung zu bewahren, und er versuchte, diese Haltung an
seine Mitstreiter zu vermitteln. Und so ging es immer wieder weiter.
»Dort drüben – ich habe da etwas gehört!«, rief nun
einer der Männer, der im Schutt mit einer abgebrochenen Stahlstrebe wühlte.
Sentenza machte eine rasche Handbewegung, und die Gruppe begann, an der angegebenen
Stelle zu graben. Für einige Minuten war nichts zu hören als das angestrengte
Keuchen der Arbeitenden, das Krachen der beiseite geschobenen Hindernisse aus
Stein und Metall, das Rieseln des Schutts in gerade erst mühsam gegrabene
Öffnungen, und der daraufhin beinahe unvermeidliche Fluch.
»Hier!«
Ein Stöhnen drang unter dem Schutt hervor. Alle hatten es gehört.
Eine mächtige Betonplatte lag über der Quelle des Geräusches.
Was immer am Leben war, war durch diese Platte sowohl gerettet worden als auch
eingeschlossen.
Sentenza hob seinen Kommunikator an den Mund.
»An'ta, ich brauche hier einen Bergungsroboter!«
Die Spezialistin verschwendete gar keine Zeit damit, den Befehl zu bestätigen.
Es dauerte keine Minute, da schwebte bereits summend eine der Vielzweckmaschinen
auf sie zu, wurde von Sentenza angewiesen und machte sich mit Präzision
an die Arbeit. Schnell war die Betonplatte säuberlich seziert und durch
Gravstrahlen unter Kontrolle gebracht, so dass die Einzelteile nicht auf Verschüttete
hinabfallen konnten. Die Trümmer wurden abgetragen.
Darunter kam eine junge Frau zum Vorschein. Sentenza erkannte
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