Rettungskreuzer Ikarus Band 049 - Schritt vor dem Abgrund
Captain. »Setz die wieder auf, und ich hole mir auch eine. Sonst stecken wir die anderen an.«
»Sie werden meutern und uns beide vermutlich aus der Luftschleuse werfen.«
Hark grinste.
»Wer es versucht, den rekrutiere ich in unser Team.«
»Du knutscht sie alle?« Ein Funke des alten Humors schimmerte durch ihre Worte, als sie die Maske anlegte.
»Aber sicher.« Hark nahm einen Atemschutz aus dem Schrank und grinste noch breiter, ehe er ihn überstreifte. »Du weißt doch: Ich bin ein Mann der Liebe.«
Niemand hatte ernsthaft Köder sein wollen, als es um die Verteilung der Rollen ging. Keinem war es erstrebenswert erschienen, das große, aller Identifikationsmerkmale beraubte Beiboot zu steuern und es dann, mit dem aktivierten Notrufsender, scheinbar havariert in der Nähe einer der gängigen Flugrouten treiben zu lassen.
Es gab so viele Einwände: Was, wenn niemand kam, um einem zu helfen? Was, wenn jemand kam, und der Plan schiefging und man wirklich gerettet wurde? War es das Risiko wert? Sie könnten das Beiboot und ein oder zwei Leute der Besatzung verlieren, für nichts.
Lovis3 dachte mit einem flauen Gefühl an all die Diskussionen zurück, das viele Für und Wider, unendliches Wenn und Aber. Keiner konnte im Vorfeld sagen, wie alles ausgehen würde. Manches Mal hatte sie sich gewünscht, ihr Leben wäre eine Simulation, und sie könnte zwischenspeichern, etwas ausprobieren und im Falle eines Fehlschlages einfach auf den alten Stand zurückgehen, um sich eine Alternative auszudenken. Denn letztlich war es an ihr gewesen, eine Entscheidung zu treffen. An ihr alleine, obwohl Bent bereit gewesen war, alles mitzutragen.
Aber sie wollte ihn da raushalten, für den Fall, dass es schiefgehen sollte. Dann mochte die Mannschaft sie absetzen – eine Meuterei konnte man das unter den Umständen ja nicht nennen – und es mit ihm neu versuchen. Außer Gordon wäre sicher niemand dagegen … Oder wenn doch, dann sagte es keiner. Das war die eigentliche Schwierigkeit: nicht das, was die anderen ihr sagten, sondern alles, was sie in ihrer Gegenwart verschwiegen.
War es dem Captain auch so gegangen? Hatte er sich immer fragen müssen, was in den Köpfen seiner Mannschaft wirklich vor sich ging, ob sie auf seiner Seite waren oder nur zu feige – oder zu vorsichtig –, um zu protestieren? Sie lächelte dünn. Nun, damit hatte er auf jeden Fall jetzt kein Problem mehr. Seine Mannschaft war sich ganz und gar einig in ihrem Wunsch, in den Untergang zu rennen.
Ihre hingegen … Alle schönen Ideen von demokratischer Abstimmung hatten sich letztlich aufgelöst, als die ersten wichtigen Vorräte knapp wurden und ihnen die Zeit davonlief.
Lovis3 musste die Köder bestimmen. Sie hatte niemanden genommen, der sich zu sehr bereit erklärt hatte, weil sie misstrauisch war und befürchtete, der könnte nur darauf aus sein, wirklich von einem anderen Schiff aufgenommen zu werden, um irgendwie aus ihrer Misere zu kommen. Das würde Fragen aufwerfen und sie alle und ihr Schiff in Gefahr bringen. Sie hatte auch niemanden genommen, der zu vehement dagegen gewesen war. Angst war ein schlechter Gesellschafter, wenn man zehn oder zwanzig Stunden antriebslos im Raum umhertrieb und auf Kontakt wartete.
Letztlich war sie mit ihrer Wahl zufrieden, denn die beiden Köder waren still und hilflos und appetitlich geblieben, 22 Stunden lang, bis ein Frachter auf sie aufmerksam geworden war und sich nun in Annäherung befand. Den Funksprüchen nach, die sie auffangen konnten, waren es wirklich schlichtweg Händler. Keine Sicherheitsleute, keine Regierung, keine Plünderer, einfach nur Leute, die jemandem in Not beistehen wollten. Nicht so vorsichtig, dass sie den nahen Asteroidengürtel gescannt und das Mutterschiff entdeckt hätten. Nicht so aufmerksam, dass sie die winzige Rettungskapsel bemerkt hätten, die in quälender Langsamkeit, nur mit den Steuerdüsen angetrieben, auf sie zuschwebte, während das größere Beiboot ihre Aufmerksamkeit fesselte.
Nein, Lovis3 hatte nicht selber Köder sein wollen, aber jetzt, im Vergleich mit dem, was sie zu tun hatten, schien es ihr nahezu verlockend.
»Okay, alle bereit? Schätzungsweise noch zehn Minuten, dann sind wir in Reichweite. Jonas, was macht der Ortungsschutz?«
Ihr Pilot nickte nur, schweigend und konzentriert.
Eine Rettungskapsel zu steuern war eine undankbare Sache. Das kleine Gefährt war dafür
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