Rettungskreuzer Ikarus Band 049 - Schritt vor dem Abgrund
Es ging sehr viel schneller, als hinzufliegen und eigenhändig Kästen aus den Halterungen zu zerren, doch die Gefahr bestand, dass jemand den Energieverbrauch bemerken würde.
Wo es möglich war, untersuchte Fathia noch vor Ort den Inhalt der Container und wählte aus, was sie brauchten. Das schafften sie in die Kapsel – den Rest ließen sie einfach treiben, sodass alle sich bald durch eine Wolke schwebender Pakete bewegten und beständig um sich treten mussten.
»Wir sind im kritischen Bereich«, gab Jonas schließlich durch, seine Stimme ein Schock und eine Erleichterung zugleich. »Der Frachter funkt das Beiboot beständig an und macht sich bereit zum Andocken. Wir haben nur noch ein paar Minuten, dann sitzen die fest. Wir müssen weg, aber flott!«
»Also dann, los! Jeder nimmt nur noch das, was er gerade hat. Nein, Banka, lass den Container!«
Lovis3 sah das Jagdfieber in den von den Locken halb verdeckten Augen – einen noch, nur noch diesen einen Punkt auf der Liste streichen können!
Kurz entschlossen gab sie Banka einen Schubs, der sie von den Kontrollen des Transportsystems wegtreiben ließ – der daraus resultierende, empörte Aufschrei brachte sie fast zum Lächeln.
Sie wartete, bis alle vor ihr zur Schleuse zurückkehrten, und warf dabei einen Blick auf Bankas Pad – es waren mehr Haken hinter den Einträgen, als sie zu hoffen gewagt hatte. Jetzt mussten sie nur noch heil hier wegkommen, die Rettungskapsel genauso wie das Beiboot. Sie wandte sich um und stieß sich ab, um den Frachter zu verlassen, übersah einen offenen Container, der deutlich mehr Momentum hatte, als für sie beide gut sein konnte, und fühlte einen harten Schlag im Rücken, als die spitze Kante des Behälters sie traf.
Lovis3 keuchte auf und ruderte herum, prallte gegen einen Pfeiler und trudelte dann, Kopf voran, gegen das Frachtschott. Der Aufprall dröhnte in ihrem Helm, und sie spürte, wie sie mit der Stirn nach vorne schlug – das hier waren keine Schutzhelme, ihre Aufgabe war es nur, luftdicht, strahlenfest und sicher zu sein, nicht, kinetische Energie abzufangen. Etwas nahm ihr die Sicht, und Lovis3 blinzelte. Rot. Sie blutete, vermutlich aus einer Platzwunde an der Augenbraue. Nicht schlimm.
Etwas benommen hielt sie sich an dem Schott fest und versuchte, sich zu orientieren.
»Seid ihr alle drin, ja?«, hörte sie Jonas über den Helmfunk und dann den gesammelten Aufschrei der anderen, dass er noch warten musste.
»Bleibt alle, wo ihr seid, ich bin auf dem Weg!«, rief Lovis3 und wünschte sich nur, sie wüsste, in welche Richtung. Das Blut machte sie halb blind.
Sie tastete sich an der riesigen Tür entlang – die Mannschleuse war in ihrer Mitte, man konnte also einfach den Verstrebungen folgen. Ganz einfach. Aber furchtbar langsam. Leichte Panik flatterte in ihr auf. Sollte sie die anderen auf den Weg schicken und zurückbleiben? Was würde die Frachterbesatzung mit ihr machen? Und würde sie es schaffen, die anderen nicht zu verraten? Ein Captain ging mit seinem Schiff unter, nicht alleine.
Ehe die Gedanken zu wild werden konnten, spürte sie feste Hände, die sie an den Armen griffen und voranzogen. Ihr Magen schien die Bewegung nicht mitmachen zu wollen. Plötzlich hatte sie Säure im Mund. Nicht übergeben, befahl sie sich. Oh, bitte nicht in den Helm übergeben.
Dann erkannte sie das Innere der Kapsel und hörte, wie sich die beiden Schotte schlossen, das des Frachters ebenso wie ihr eigenes.
»Festhalten, wo auch immer«, kam umgehend Jonas’ Kommando, und er zündete die Fluchtraketen, die eigentlich dafür gedacht waren, sich vom Mutterschiff abzusprengen.
Ebenso eigentlich sollten die Passagiere dabei in ihren Andrucksesseln sitzen und den kurzen, aber heftigen Beschleunigungsdruck gut gesichert überstehen. Stattdessen wurden sie gegen ihre Beute gedrückt, gegen Kisten und Fässer oder gegen die Innenwand der Kapsel. Es gab Schreie.
Lovis3 spürte einen neuen Schlag gegen den Kopf, der Atem wurde ihr aus den Lungen gepresst, und irgendwas bohrte sich höchst schmerzhaft in ihren Bauch. Stumm zählte sie die Sekunden – fünf, sechs, sieben … Dann ließ der Andruck so abrupt nach, wie er gekommen war.
»Sorry, aber es ging nicht anders.« Jonas, als Einziger in einem Sessel, klang tatsächlich etwas zerknirscht. »Alles klar bei euch?«
Ein gemischtes Stöhnen antwortete ihm, als einer nach dem anderen sich
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