Rettungskreuzer Ikarus Band 049 - Schritt vor dem Abgrund
die Frachtluke.
Sie war groß genug, dass selbst Lovis3 die Kapsel hindurchbugsieren könnte, und sie war ein mieser Pilot. Diesen Zugang zum Laderaum zu öffnen, würde so viel Energie brauchen, dass es unmöglich unbemerkt bleiben konnte.
Zum Glück brauchten sie nur die Mannschleuse, die keine zwei Meter im Durchmesser hatte. Natürlich würde auch dieses Eindringen an die Zentrale gemeldet werden, wenn sie es nicht verhindern konnten.
»Banka?«
Die Angesprochene drängte sich vor, den Helm voll mit den blonden Locken, die sie nicht gebändigt bekam. Immer wieder fuhr ihre Hand hoch, um die Haare aus den Augen zu streichen, eine sinnlose Geste, die am Sichtfenster endete, doch anscheinend ebenso wenig kontrollierbar war wie die Haare selber.
Banka demontierte Teile des Öffnungsmechanismus der Mannschleuse mit einem winzigen Plasmabrenner, bis sie einen Blick auf die elektronischen Eingeweide werfen konnte. Im Inneren des Frachters, so hatte sie Lovis3 erklärt, würde sie weniger archaisch vorgehen und sich in das Computersystem einschmuggeln können, ohne die Hardware anzurühren.
Doch das Schott war, aus praktischen Gründen, so simpel wie möglich gehalten, das Äquivalent zu einer altmodischen Türklinke, die leider mit einer Klingel gekoppelt war. Banka wollte diese Verknüpfung unterbrechen.
Lovis3 achtete darauf, nicht den Atem anzuhalten, während sie gebannt auf die Aktion starrte, die sie nicht verstand.
Banka wühlte mit zu dicken Handschuhen in den Schaltungen herum, der Helmfunk übertrug unterdessen eine Mischung aus Murmeln und Summen, dann ein überraschtes »Oh!«, während zeitgleich ein Stecker brach und in der Schwerelosigkeit davontrudelte. Banka fuchtelte kurz und versuchte, ihn einzufangen, gab ihm damit aber lediglich einen weiteren Schubs, der ihn endgültig außer Reichweite katapultierte.
»Macht nichts. Den wollten wir eh nicht wieder einbauen, oder?«
»Nein, schon gut. Und jetzt?«
»Bin ich fertig.« Der Handschuh verschwand noch einmal in dem unregelmäßigen Loch, dann öffnete sich die Mannschleuse wie eine Irisblende.
Lovis3 spürte ihr Herz so laut hämmern, dass sie sich wunderte, den Schlag nicht über Helmfunk zu hören.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis Jonas den Daumen hob.
»Alles klar, scheint keiner bemerkt zu haben. Gute Jagd, Leute!«
Sie hatten jeden der nächsten Schritte vorher durchgesprochen, in der kühlen, professionellen Sicherheit des Konferenzraumes, und Lovis3 hatte schon da nicht geglaubt, dass alles reibungslos klappen würde. Die Wirklichkeit überraschte sie. Positiv.
Innerhalb von Sekunden waren sie aus der Kapsel und im Frachtraum, eine riesigen Halle, die den größten Teil des gesamten Raumschiffkörpers einnahm, voll mit Containern, die groß waren wie Häuser oder klein wie ein Reisekoffer. Hier etwas auf gut Glück zu finden, war unmöglich, doch Banka verschaffte sich mühelos Zugang zu den Frachtdaten und den Verladeplänen. Sie hatten eine Datei mit allem erstellt, was sie dringend benötigten: Nahrungskonzentrate, Medikamente, Chemikalien und einige Ersatzteile standen auf der roten Liste, viele Punkte mit mehr Ausrufezeichen dahinter, als stilistisch vertretbar war.
Banka scannte die Ladedaten und jedes Mal, wenn sie einen Treffer hatte, gab sie einen kurzen, fast erschrockenen Laut von sich, dem atemlos die Koordinaten folgten. Sie würden nicht viel mitnehmen können, das verhinderten allein die knappe Zeit und die ebenso begrenzten Kapazitäten der ausgeräumten Rettungskapsel. Aber einiges von dem, was sie brauchten, war teuer oder wurde mit Sicherheit anderswo dringend benötigt. Man konnte sich ausmalen, welche Folgen das für die Empfänger haben würde.
Man konnte es aber auch lassen.
Lovis3 kniff die Lippen zusammen, gab sich einen Ruck und schloss sich den anderen an.
Es war zu Beginn eine unendlich frustrierende Arbeit. Große Container konnten sie nicht öffnen, da sie noch einmal eigene Sicherungen aufwiesen, und viele der gesuchten Dinge waren in weit entfernten Compartements untergebracht. Ihr Zeitfenster schrumpfte schneller, als der Berg an gefundenen Gütern – an Diebesgut, wenn man es korrekt benannte – wuchs.
Schließlich aktivierte Banka das automatische Lagerverwaltungssystem, eine robotische Anlage von Transporteinheiten, die sie so programmierte, dass sie alles Gesuchte zu einer Station nahe der Schleuse brachte.
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