Rettungskreuzer Ikarus Band 049 - Schritt vor dem Abgrund
umrundete die Konsole.
Sir Albert bemerkte, wie unglaublich hager die Frau war – es fiel ihm selber mit seinem Vorwissen schwer, irgendwelche Anzeichen der Weiblichkeit zu erkennen. Nicht dass er bewusst nach so etwas geschaut hätte. Interessiert beobachtete er, wie Jerr eine Schachtel aus der Innentasche ihrer langen Jacke zog – sofern Schachtel das richtige Wort für ein Behältnis war, das etwas ungemein Technisches und Stabiles an sich hatte, als wäre es ein sehr kleiner Designersafe.
»Sie hat sich infiziert.«
»Die Hauptsteuerung?«
»Ihre Freundin.«
»Bekannte.« Sir Albert räusperte sich. »Ja, ich fürchte, das hat sie. Sie ist in ihrer Kabine und schläft.«
»Dann hat sie noch ein paar Tage, ehe es richtig losgeht. Ich werde ihr nachher Medikamente gegen die Symptome bringen.«
»Das wäre sehr freundlich.«
Die erste Phase der Wanderlustinfektion konnte leicht mit einer profanen Grippe verwechselt werden. Leider war das fast überall auch passiert, sodass man Erkrankte nicht hinreichend isoliert hatte. Wer hätte ahnen können, dass so ein simples Präludium ein derartig dramatisches Stück einleiten würde?
»Sie brauchen nicht besorgt zu sein, Sir Albert.«
»Selbstverständlich bin ich besorgt. Wenn Fräulein Miyazaki sich infiziert hat, dann bin ich es vielleicht ebenso.«
»Und hier, Sir Albert, setzt der Klassenunterschied ein.«
»Sie meinen?«
»Frau Miyazaki und Sie haben beides gleich gemacht – der Rückzug in die Kabine mit vollem Vertrauen in die Filteranlagen, unter Schutzatmosphäre hergestellte Maschinennahrung, die Anzüge. Nur an einer Stelle mussten Sie unterschiedlich handeln.«
Es dauerte einen Moment, bis Sir Albert begriff.
»Die Luftschleuse. Ich habe meinen Vorraum als Luftschleuse benutzt.«
»Was unter den gegebenen Umständen sehr weise war. Und effektiv.«
»Die Kabinen der dritten Klasse haben keinen Vorraum.«
»So ist es.«
»Also hat Fräulein Miyazaki sich infiziert, als die den Schutzanzug von Herrn Taler in Empfang genommen hat?«
»Nur ein kurzer Moment, in dem sie der ungefilterten Atmosphäre ausgesetzt war, aber er hat gereicht. Bedauerlich.«
Sir Albert sank etwas in sich zusammen. Er spürte Erleichterung, aber auch Angst. Wenn die Luft im Raumschiff derartig kontaminiert war, dann befand er sich in ständiger Gefahr. Er war dankbar, dass er auf seine überzogen wirkenden Vorsichtsmaßnahmen bestanden hatte. Doch was, wenn etwas schiefging, die Filter versagten, der Schutzanzug beschädigt wurde?
»Es macht nicht wirklich etwas aus, wie Sie wissen«, erklärte Jerr, als hätte sie seine Gedanken erraten. »Entweder wir bekommen das Schiff nicht wieder unter Kontrolle, dann enden wir alle in der Sonne, ehe das Wanderlust-Virus Sie zu verändern beginnt. Oder wir schaffen es, dann können wir Vortex Outpost anfliegen und den Impfstoff besorgen.«
»Zu spät für Fräulein Miyazaki.« Seine Stimme klang sehr matt.
»Aber rechtzeitig für Sie. Und solang ein Leben, so lang die Hoffnung – sagt man das nicht so?«
Während sie sprach, öffnete Jerr die Schachtel – anscheinend indem sie kurz eine Fingerspitze anleckte und diese dann in eine Mulde drückte. DNA-Erkennung. Nicht wirklich außergewöhnlich, aber gewiss auch kein Standard. Vorsichtig hob Jerr ein silbriges Netz aus der Schatulle, ein Gespinst, das offensichtlich technisch war, dabei einen unbestimmbar organischen Eindruck machte.
»Haben Sie gerade etwas vor, Sir Albert?«
»Nicht wirklich. Ich stehe, wenn Sie wünschen, zu Ihrer Verfügung.«
»Hervorragend. Dann würde ich Sie bitten, sich einfach in den Sessel an meiner Seite zu setzen und meine Wache zu sein.«
»Bei was genau?«
Jerr nahm das Netz über die gespreizten Finger beider Hände und ließ es sich mit einer raschen, geschickten Bewegung über Gesicht und Schädel gleiten. Kontakte legten sich dicht an ihre Schläfen, ihre Stirn und über die ausrasierten Seiten des Kopfes. Selbst Sir Albert wusste, was er da sah.
»Ein Datennetz! Sie wollen sich doch nicht in den Computer – wie nennt man das? – hacken?«
»Dass Sie so ein Wort überhaupt kennen«, rügte Jerr grinsend. Ihr Vorhaben versetzte sie offensichtlich in eine ansonsten ungekannte Hochstimmung.
»Sie haben Herrn Taler schon verstanden? Dass die Hauptkontrolle mit einem Selbstzerstörungsmechanismus
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