Rettungskreuzer Ikarus Sonderband 002 - Saint Domina
drang sie erst ein, als er seinen Raumanzug beschädigte und sich verletzte. Ich halte es für möglich, dass es das zweite Ereignis war, dass die Organismen auf Pronzini aufmerksam machten. Die Betriebstemperatur eines Raumanzuges liegt immerhin deutlich unter der eines Laserschneiders.«
Dr. Malmström tippte dem Leiter des Explorationsteams auf die Schulter. Kellermann musste seinen Kopf etwas in den Nacken legen, um dem Arzt in das Gesicht sehen zu können. »Die physiologischen Daten ihres Mitarbeiters ähneln frappierend denen eines Menschen, der unter dem Einfluss halluzinogener Drogen steht«, führte Malmström aus. »Wie Psilocybin oder Ololiuqui, die im Outback stark verbreitet sind.«
»Das ist bemerkenswert«, erwiderte Dr. Kellermann, zog ein Pad aus der Seitentasche seines Raumanzuges hervor, aktivierte es und gab einige Daten ein, die er zuvor von den Anzeigen der Untersuchungsstation ablas.
»In Fällen dieser Art besteht die Standardtherapie darin, die Eigenschaften des menschlichen Metabolismus, auf die eine fremde Lebensform in parasitärer Weise reagiert, zu bestimmen und auszuschalten. Zumindest einen solchen Kontaktpunkt haben wir gefunden«, fuhr Dr. Malmström fort und nickte der Wissenschaftsoffizierin der Phönix zu. »Wir sollten davon ausgehen, dass es nicht die Verletzung, sondern der Schmerz war, der den fremden Organismus auf Pronzini reagieren ließ. Ich werde ihm ein starkes Sedativum injizieren, das sein natürliches Schmerzempfinden vollständig ausschalten sollte.«
»Können Sie voraussehen, wie die Lebensform darauf reagieren wird?«, fragte Kellermann, ohne seinen Blick von den Anzeigen der diagnostischen Station zu heben.
»Natürlich nicht«, erwiderte Ärztin. »Es ist ein Versuch, der erste außerdem. Es ist wenig wahrscheinlich, wenn auch nicht ausgeschlossen, dass wir damit sofort Erfolg haben. Aber wir sollten Vorbereitungen treffen, falls der Organismus Pronzinis Körper tatsächlich verlassen sollte. Seine Affinität zu Wärmequellen könnte dabei hilfreich sein. Lieutenant Bell, bereiten sie einen Probenbehälter mit einem automatischen, fernsteuerbaren Verschluss vor. Ein Behälter mit einer Höhe von einem Meter sollte genügen. Auf dem Boden plazieren sie ein Wärmekissen, das sie auf eine Temperatur von knapp einhundert Grad Celsius einstellen.«
Die Wissenschaftsoffizierin entnahm einem hüfthohen Container an der Seitenwand des Quarantänezeltes die angeforderten Gegenstände, setzte sie zusammen und stellte sie auf dem schmalen Tisch an der Stirnseite ab. Es war ein durchsichtiger, zylindrischer Behälter. Die Bereitschaftsanzeige des automatischen Verschlusses zeigte grün.
Gleichzeitig trat Dr. Malmström an die Medikamentenstation und programmierte einen Injektor. Das Zischen, das über die Außenmikrofone ihres Raumanzuges übertragen wurde, und das Aufleuchten einer grünen Diode über der Ladestation, zeigten an, dass der Injektor betriebsbereit war. Dr. Malmström nahm das Gerät in die rechte Hand, kehrte an die Stirnseite des Untersuchungstisches zurück und fragte: »Fertig?«
Lieutenant Bell war mit der Fernbedienung ebenfalls an den Untersuchungstisch zurückgekehrt. Das kleine, schmale Gerät verschwand fast vollständig zwischen den Fingern ihres Raumanzuges. »Ja«; sagte die Wissenschaftsoffizierin. Dr. Kellermann und Linda Paretsky wichen rasch an die Zeltwände zurück.
Dr. Malmström injizierte das Medikament in die Halsschlagader Pronzinis. Es war ein starkes und schnell wirkendes Sedativum, das vor allem bei Patienten mit schweren Verletzungen angewandt wurde, aber ihr Bewusstsein nicht ausschaltete, sondern nur wenig trübte.
In den ersten Sekunden nach der Injektion blieben die Vitalfunktionen auf den holografischen Anzeigen der diagnostischen Station unverändert. Unvermittelt begannen jedoch der Blutdruck und die Pulsfrequenz Pronzinis zu sinken, auch seine Augenbewegungen verlangsamten sich.
Im Nachhinein wusste niemand zu beschreiben, wie sich jener Prozess genau abgespielt hatte: Über der Beinverletzung Pronzinis erschien eine dichte Wolke aus kleinen, leuchtend weißen Punkten mit einer goldfarbenen Korona, die einander so heftig umkreisten, dass einzelne nicht zu verfolgen waren. Dr. Malmström besaß genügend Geistesgegenwart, den Blendschutz des Helms über die Sichtscheibe zu schieben. Die Wolke aus Sterne erhob sich und wandelte ihre Form zu einer an den Enden abgerundeten Säule, von der sich Ausläufer bildeten,
Weitere Kostenlose Bücher