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Rettungslos

Titel: Rettungslos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: van der Vlugt Simone
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nach. Sie weiß, das ist der Anfang vom Ende, binnen weniger Augenblicke wird sich ihre Lunge mit Wasser füllen.
    Sie schafft es, den Mund noch kurz geschlossen zu halten, dann wird der Sauerstoffmangel übermächtig, und sie hat das Gefühl, dass ihr Kopf explodiert.
    Mit weit offenen Augen sieht sie die Wasseroberfläche über sich, ganz nah jetzt, aber es ist zu spät. Farben zucken vor ihren Augen, sie sieht Sterne, dann fällt sie in einen tiefen, dunklen Schacht. Es ist wie eine Befreiung.

7
    Zum Glück hat er die Frau nicht bemerkt. Die Sekunden, die sie gut sichtbar auf der Terrasse stand, kamen ihr wie eine Ewigkeit vor. Sie hat ihre verbundene Hand hochgehalten, um die Blutzufuhr zu reduzieren und so die Schmerzen in Grenzen zu halten, aber auch, um der Frau zu zeigen, dass sie verletzt ist. Durch den Verband hat sich Blut gedrückt, und Lisa merkte genau, wie die Frau bei diesem Anblick erschrak.
    Ob sie wohl auch ihre aufgeplatzte Lippe bemerkt hat und das Messer, mit dem Kreuger sie und Anouk bedroht? Hat die Frau ihre Lage richtig eingeschätzt? Vermutlich ja, sonst wäre sie wohl nicht so rasch wieder verschwunden. Letzteres gibt Lisa Hoffnung und lässt sie die Schmerzen im Gesicht und an der Hand leichter ertragen. Eine Weile muss sie noch durchhalten, bestimmt kommt bald Hilfe.
    Wie aus der Ferne nimmt sie Kreugers Stimme wahr, als er versichert, ihr und Anouk nichts antun zu wollen. Er müsse nur eine Zeit lang untertauchen, bis die Luft
rein sei. Wenn sie und ihre Tochter keine Scherereien machten, hätten sie nichts zu befürchten.
    Mit fiebrigem Blick lehnt sich Anouk an Lisa, sie scheint nicht zu begreifen, was der Mann hier will. Seit sie ihre Mutter mit sorgsam verbundener Hand die Treppe herabkommen sah, wirkt sie nicht mehr ganz so verängstigt, und Lisa ist heilfroh darüber.
    Â»Wie heißt ihr eigentlich?«, fragt Kreuger plötzlich.
    Â»Ich heiße Lisa, und das ist Anouk. Sie ist sechs.« Ihre Stimme klingt heiser, als brüte sie eine Erkältung aus.
    Â»Ist die Kleine schon länger krank?«, fragt Kreuger.
    Â»Seit zwei Tagen.«
    Â»Hast du das in der Schule gemeldet?«
    Lisa nickt.
    Â»Gut, die rufen hier also nicht an.«
    Â»Nein, aber es könnte durchaus sein, dass Freundinnen von ihr vorbeikommen.«
    Â»Die lässt du auf keinen Fall rein.« Es klingt wie ein Befehl, und Lisa nickt gehorsam. Glaubt der Typ etwa, sie würde die Kinder ins Haus bitten!?
    Â»Wenn das Telefon klingelt, gehst du dran und verhältst dich wie immer. Du legst nicht sofort auf, sondern redest ganz normal mit dem Anrufer und sagst nichts, was darauf schließen lässt, dass du unverhofft Besuch bekommen hast.« Er grinst breit, als hätte er einen besonders geistreichen Witz gemacht. Lisa lächelt pflichtschuldig.
    Â»Während du telefonierst oder mit Leuten an der Tür redest, höre ich mit und leiste deiner Tochter Gesellschaft«, fährt Kreuger fort, und Lisa vergeht schlagartig
das Lächeln. Er lässt sie nicht aus den Augen, will sich anscheinend vergewissern, dass sie auch wirklich verstanden hat. Wieder nickt sie.
    Â»Wie … wie lange … willst du bleiben?«, fragt sie mit stockender Stimme.
    Kreuger tritt ans Fenster, sein Gesichtsausdruck wird hart. »So lange wie nötig. Bist du verheiratet?«
    Â»Ja, mein Mann kommt um halb sechs nach Hause.«
    Hat er ihre Antwort überhaupt gehört? Er steht unbeweglich am Fenster und starrt hinaus. Nach einer Weile geht er zur Kommode, wo ein gutes Dutzend silbergerahmte Fotos steht. Vorsichtiger, als Lisa erwartet hat, nimmt er sie nacheinander in die Hand und betrachtet sie eingehend. Es sind Bilder von Anouk als Baby, kleine Schwarz-Weiß-Fotos aus Lisas eigener Kindheit, Schnappschüsse aus dem Urlaub von ihr und Menno, wie sie sich braun gebrannt und lachend umarmen – Erinnerungen an glückliche Zeiten, und Lisa kann es kaum ertragen, sie in den Händen dieses Mannes zu sehen.
    Als er sich umdreht, senkt Lisa den Blick. Mit mehreren Fotos kommt er zum Sofa und hält sie Anouk hin.
    Â»Das bist du, stimmt’s?« Er lächelt freundlich.
    Anouk nickt zaghaft, sie wirkt nicht sehr überzeugt, dass der Mann es ehrlich meint.
    Â»Mit deinem Papa?« Eines der Fotos zeigt Anouk, Lisa und Menno an Bord eines Segelschiffs.
    Â»Und mit Mama«, sagt Anouk.
    Â»Wo ist dein Papa jetzt?«
    Verunsichert sieht

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