Rettungslos
Mutter blutig geschlagen und mit einem Messer bedroht wurde, und sie mussten die Nacht eingesperrt im dunklen Keller verbringen.
Aber es kann noch viel schlimmer werden. Wie soll sie ihr Kind vor dem Entsetzlichen beschützen, das sie befürchtet?
Indem sie sich nicht länger passiv verhält, begreift sie jetzt. Sie muss das Heft in die Hand nehmen und Kreuger zum Gehen bewegen.
»Mama?« Anouks fragende Stimme reiÃt Lisa aus ihren düsteren Gedanken.
»Ja?«
»Holst du bitte meine Barbies von oben?«
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Für einen auÃenstehenden Beobachter wäre das eine ganz alltägliche, häusliche Szene: Anouk spielt im Wohnzimmer mit ihren Barbiepuppen, Kreuger hat sich in die Zeitung vertieft, und Lisa räumt in der Küche auf.
Als sie fertig ist, stellt sie nach alter Gewohnheit die Espressomaschine an, und das Aroma frisch gemahlener Bohnen durchzieht die Küche.
»Kaffee, sehr gut!«, ruft Kreuger aus dem Wohnzimmer.
Lisa tritt in die Tür. »Trinkst du ihn wieder schwarz �«
Er nickt, ohne aufzusehen.
⦠oder soll ich was reintun?, vollendet Lisa in Gedanken ihre Frage: Rattengift, eine Ãberdosis Schlaftabletten, eine Mischung starker Medikamente â¦
Als Laborantin kennt sie sich mit Giftstoffen aus. Sie arbeitet in einem Untersuchungslabor, das für Pharmafirmen und Kosmetikhersteller Analysen durchführt. Ihre Aufgabe besteht darin, die Rohstoffe und vor allem die Endprodukte vor der Freigabe zu untersuchen.
Lisa weià sehr wohl, dass nicht nur russische Agenten Gefahr laufen, vergiftet zu werden. Auch Arzneimittel und Kosmetika enthalten jede Menge gefährlicher Substanzen. Das Prädikat »dermatologisch getestet«
auf Verpackungen und Tiegeln hat oft nicht viel zu bedeuten. Es suggeriert, dass man ein sorgfältig getestetes, hautfreundliches Produkt erworben hat, dabei beschränkt sich die Untersuchung nicht selten darauf, dass ein Laborangestellter einen Tupfer Creme auf seiner Hand verteilt und beobachtet, ob es zu Hautreizungen kommt. Der Begriff »dermatologisch getestet« ist nicht geschützt, jeder darf seine Produkte so bezeichnen. Wenn auf der Verpackung einer sündhaft teuren Creme steht, sie enthalte »reinigende Pflanzen extrakte«, so klingt das vollkommen harmlos, aber dass die verwendeten Rotalgen eventuell Giftstoffe enthalten, wird mit keinem Wort erwähnt.
Lisa führt an ihrem Arbeitsplatz detaillierte Untersuchungen durch und verfasst auch Testberichte für Verbraucherzeitschriften, um so im chemischen Dickicht für Transparenz zu sorgen.
Derzeit engagiert sie sich bei einer Aufklärungskampagne gegen Botox in Cremes, das die Verbraucher zwar eine Menge Geld kostet, jedoch keinerlei Wirkung auf die Faltenbildung hat. Kosmetika, die die Hautstruktur tatsächlich nachhaltig verändern, fallen in die gleiche Kategorie wie verschreibungspflichtige Medikamente.
Nachdenklich blickt Lisa aus dem Fenster. Giftstoffe finden sich in vielen Produkten, mit denen man tagtäglich umgeht, und die meisten Vergiftungen passieren im Haushalt. Zu kurz angebratenes Hackfleisch oder ein Hühnerbrustfilet, das einen Tag lang nicht im Kühlschrank war, reichen bereits aus ⦠Damit könnte sie Kreuger wahrscheinlich auÃer Gefecht setzen. Wie aber soll sie sicherstellen, dass er das betreffende Stück
Fleisch auch verzehrt und es nicht ihr oder, schlimmer noch, Anouk auf den Teller legt?
Nein, solch ein Risiko kann sie nicht eingehen. Sie muss sich etwas Raffinierteres ausdenken. Ob er es merken würde, wenn sie etwas in seinen Kaffee streut? Lisa hat keine Ahnung, welche Gifte man leicht herausschmeckt und welche nicht. Rattengift wäre zweifellos am effektivsten, aber sie hat keines im Haus. Nur ein paar Ameisenköder und Lösung zum Nachfüllen, aber wie viel davon braucht man, um einen erwachsenen Mann umzubringen? Und was, wenn er merkt, was sie im Schilde führt, und den Kaffee ausspuckt?
Mit einem Seufzer trägt sie die zwei Tassen ins Wohnzimmer. Für eine so drastische Aktion ist später immer noch Zeit, erst einmal will sie es mit Reden versuchen.
Sie stellt den Kaffee vor Kreuger auf den Couchtisch und probiert zu erspähen, was er gerade liest.
»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?«, fragt sie wie beiläufig.
»Eigentlich nicht.«
»Also keine neuen Entwicklungen«, stellt sie fest.
Sein verhaltenes Lachen klingt ihr wie Hohn in
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