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Rettungslos

Titel: Rettungslos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: van der Vlugt Simone
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gefeiert und locker behauptet, es belaste sie in keiner Weise, die Dreißiger hinter sich gelassen zu haben. Vierzig oder dreißig, das mache doch heutzutage keinen Unterschied mehr.
    Tief in ihrem Inneren wusste sie jedoch, dass vierzig keinen Neuanfang mehr bedeutete, sondern dass im Leben nun alles bergab ging, langsam, aber unabwendbar.
    Zunächst hatte sie sich noch damit getröstet, erst Anfang vierzig zu sein, wie sie sich zehn Jahre zuvor mit der Tatsache zu arrangieren versucht hatte, die dreißig überschritten zu haben. Geradezu lächerlich, dass ihr das damals Sorgen bereitete.
    Kurz nach ihrem dreiundvierzigsten Geburtstag begann sie von früher zu träumen. Nacht für Nacht kehrte sie in ihre Studentenzeit zurück, war wieder die ungebundene junge Frau von damals. Und wenn sie aufwachte, brauchte sie jedes Mal eine ganze Weile, um sich bewusst zu machen, dass sie inzwischen doppelt so alt war.
    Für ihr Gefühl verging die Zeit immer schneller, und bald hatte sie keine Freude mehr daran, alte Fotoalben durchzublättern oder Videofilme von früher anzusehen, als die Kinder noch klein waren. Die Rührung,
die sie dabei überkam, ging nun mit einem beklemmenden Verlustgefühl einher, das ihr noch Stunden später zu schaffen machte.
    Sie war mittleren Alters, das ließ sich nicht mehr leugnen. Noch eine relativ kurze Zeit lag vor ihr, in der sich hin und wieder ein Mann auf der Straße bewundernd nach ihr umdrehen würde und sie der Konkurrenz der energiesprühenden Dreißiger gewachsen war.
    Nie hätte sie gedacht, dass sie das derart deprimieren würde. Vielleicht war sie deshalb so empfänglich für Alexanders Charme gewesen …
    Er hatte nie Zweifel an seinen Absichten gelassen, sie jedoch in keiner Weise gedrängt. Er nahm sich Zeit, sie kennenzulernen, und als sie nach ein paar Wochen erstmals miteinander schliefen, waren seine Liebkosungen zärtlich und behutsam gewesen. Er schien genau zu wissen, was ihr gefiel.
    Freek war das in einundzwanzig Ehejahren nicht gelungen. Sie hatte damit begonnen, ihren Mann mit ihrem Liebhaber zu vergleichen, und war bestürzt. Ihr war zwar bewusst, dass man die Qualitäten des Geliebten in der ersten Verliebtheit leicht überbewertet und dass der Mann, mit dem man sein halbes Leben verbracht hat, zwangsläufig dagegen verblasst. Sie hat für ihre Zeitschrift genug Reportagen zu diesem Thema verfasst, jede Menge einschlägige Artikel gelesen und Geschichten gehört, um sämtliche Klischees zu kennen. Aber der Grund, weshalb diese Klischees sich so hartnäckig halten, ist schlichtweg der, dass sie zutreffen.
    Nein, Freek war nach über zwanzig gemeinsamen Jahren nicht mehr so aufmerksam wie am Anfang. Alexander
hingegen hielt ihr jedes Mal galant die Tür auf, rückte ihren Stuhl zurecht, und wenn sie essen gingen, nahm er nie als Erster Baguette mit Kräuterbutter wie Freek, sondern hielt ihr den Brotkorb hin.
    Noch nie hatte sie sich darüber den Kopf zerbrochen, doch jetzt fragte sie sich nahezu täglich, wer wohl einst festgelegt hat, der Mensch müsse monogam durchs Leben gehen. Monogamie ist keine biologische Voraussetzung, um den Fortbestand der Art zu sichern, und kommt selbst in der Tierwelt eher selten vor. Es handelt sich vielmehr um eine gesellschaftlich etablierte Regel, die kaum ein Normalsterblicher einhalten kann, ohne zumindest ein Mal stark in Versuchung zu kommen oder sie zu übertreten.
    Trotz allem liebt sie Freek nach wie vor. Der Vorteil einer langjährigen Ehe besteht darin, dass die Verliebtheit der ersten Zeit in eine innige Freundschaft und Vertrautheit übergeht – Dinge, die ihre jüngeren Redaktionskollegen als spießig und öde empfinden, die aber Werte darstellen, die Senta keineswegs unterschätzt.
    Das Problem besteht darin, dass man sich etwa alle fünf Jahre verändert, wie eine Schlange seine alte Haut abstreift. Lange war dies bei Freek und ihr etwa gleichzeitig geschehen; sie hatten einander jedes Mal neu entdeckt und so ihre Beziehung lebendig halten können. In letzter Zeit hatte sie allerdings das Gefühl, in ihrer alten Haut stecken geblieben zu sein, sosehr sie sich auch bemühte, sie loszuwerden. Und Freek sah zu, ohne einen Finger zu rühren und ihr zu helfen, ja sogar ohne zu bemerken, wie sehr sie litt.

18
    Die schwarzen Druckbuchstaben tanzen vor Lisas Augen. Ihr ist, als würde ihr der Boden

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