Rettungslos
das nicht kapiert.«
Wieder klingt Wut in seiner Stimme mit, aber gleich darauf wirkt er müde und deprimiert.
»Sag selbst, was hätte ich sonst tun sollen?«, murmelt er tonlos.
Entgeistert starrt Lisa ihn an. Dass er seine Frau und ihren Geliebten umgebracht hat, ist furchtbar, aber wie ein Mensch es fertigbringt, den eigenen Kindern die Kehle durchzuschneiden, ist absolut unfassbar.
Sie sieht regelrecht vor sich, was er ihr da gerade erzählt hat. Sie hört Schreie, riecht Blut â¦
Der Schweià bricht ihr aus, ihre Hände zittern, und sie beginnt zu hyperventilieren. Weil Kreuger sie beobachtet, bemüht sie sich um einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck.
»Du weiÃt ja, wie das ist.« Er schlägt einen vertraulichen Ton an, als wären sie Seelenverwandte. »SchlieÃlich hast du deinen Mann umbringen wollen.«
»Das ist nicht vergleichbar â¦Â«
»Ach nein? Und was ist der Unterschied?«
Lisa schweigt.
Kreuger beugt sich vor. »Wahrscheinlich findest du mich zum Kotzen, was? Du hältst mich für abartig, aber glaubst du wirklich, du bist besser, weil an deinen Händen kein Blut klebt? Da irrst du dich, meine Liebe. Du bist genau wie ich.«
Ganz bestimmt nicht, denkt Lisa. Nie im Leben würde ich meiner Tochter etwas antun. Lieber hätte ich sie Menno überlassen und nie wiedergesehen, als dass ich ihr auch nur ein Haar gekrümmt hätte.
Aber sie sagt kein Wort, bis sie merkt, dass Kreugers Züge sich verhärten. Die Angst greift ihr ans Herz.
»Ich denke, du hast recht«, sagt sie leise. »Dass ich nach Anouks Geburt schwer depressiv war, habe ich dir ja schon erzählt.« Sie nimmt eine Toastkruste von ihrem Teller und zerbröselt sie nervös. »Ich war völlig überfordert: der Haushalt, das ständige Babygeschrei, die körperliche Schwäche nach der schweren Geburt ⦠Heute kann ich mir das nicht mehr vorstellen, aber damals gab es Momente, in denen ich fest davon überzeugt war, Anouk hätte es nicht schlechter treffen können als mit mir. Warum sonst heulte sie Tag und Nacht? Warum hatte ich überhaupt ein Kind in die Welt gesetzt? In diese verschmutzte, schlechte Welt? Eines Nachmittags platzte mir fast der Kopf von dem dauernden Geplärre, ich konnte nicht mehr klar denken. Im nächsten Moment stand ich mit einem Kissen neben der Wiege. Ich drückte es gerade auf Anouks Gesicht, als Menno von der Arbeit nach Hause kam â¦Â« Lisas Stimme bricht. Sie richtet den Blick auf
ihren Teller voller Krümel, um nicht sehen zu müssen, wie seine Augen aufblitzen.
Es bleibt so lange still, dass sie schlieÃlich doch aufsieht. Kreuger hat sich zurückgelehnt und mustert sie abwartend.
»Menno hat mich in ein Krankenhaus gebracht«, fährt Lisa fort. »Er hat mich nicht dazu gezwungen, ich bin freiwillig mitgekommen. Weil ich wusste, dass ich es sonst wieder versuchen würde. Erst später, als ich wieder ganz gesund war, konnte ich das Zusammensein mit Anouk genieÃen.«
»Du hast mir also nicht gleich alles erzählt.«
»Das ist ja nichts, worauf man stolz sein könnte.«
»Aber dann hast du gedacht, einem Verbrecher, der die eigene Familie umgebracht hat, kannst du es ruhig beichten.«
»So in etwa â¦Â«
Ihre Antwort scheint ihn zu entwaffnen, ein Grinsen überzieht sein Gesicht. »Wir haben also mehr gemeinsam, als ich dachte.«
»Vermutlich hat jeder seine Abgründe, aber kaum einer gibt zu, wie nah er schon am Rand stand.«
Kreuger nickt.
Er glaubt mir, denkt Lisa. Der Idiot glaubt tatsächlich, ich hätte mein eigenes Kind ersticken wollen.
In der darauffolgenden Stille klingt das schrille Telefonläuten wie eine Explosion. Lisa fährt hoch, und auch Kreuger steht so schnell auf, dass sein Stuhl umkippt.
Er greift nach dem Haustelefon, das er an seinen Gürtel gehängt hat, und wirft einen Blick auf das Display.
»Mutti«, liest er laut. »Okay, geh ran. Aber denk daran:
keine Andeutungen oder Tricks. Du redest ganz normal mit ihr, klar? Weder zu lange noch zu kurz.« Er schiebt Lisa in die Küche, reicht ihr das Telefon und fügt hinzu: »Stell den Lautsprecher an. Es gehört sich zwar nicht, aber in diesem Fall will ich mithören.«
20
Das Zusammenspiel zwischen Körper und Seele ist ein seltsames Phänomen. Dass Gedanken starke Selbstheilungskräfte mobilisieren
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