Rettungslos
ganz nahe. »Warst du schon mal in so einer Situation?«
»Ich habe versucht, meinen Ex umzubringen«, sagt sie kaum hörbar.
Er wird hellhörig. »Wie?«
Lisa will ausweichen, aber er lässt sie nicht aus den Augen, zwingt sie mit seinem Blick zu einem Geständnis. Nun, da sie A gesagt hat, muss sie auch B sagen.
»Mit dem Auto.«
Kreuger pfeift, er scheint beeindruckt zu sein. »Und dann?«
»Er kam schwer verletzt in eine Klinik, hat es aber überlebt.«
»Bist du nicht dafür belangt worden?«
»Nein, ich bin schnell weitergefahren, und Zeugen gab es keine. Menno hat nie erfahren, dass ich in dem Auto saÃ, aber er muss es geahnt haben. Wenn die Sprache auf den Unfall kam, hat er mich manchmal ganz seltsam angesehen.«
»Und wie ging es weiter?«
»Dann haben wir uns getrennt«, sagt Lisa schlicht. »Ich denke, ihm war klar, dass ich ihn beim nächsten Mal umbringen werde.«
»Würdest du es denn noch einmal versuchen?«
»Unbedingt.« Die Wunde an ihrer Hand pocht, ihre Lippe ist wieder aufgesprungen und brennt. »Ich kann vieles verstehen und verzeihen, aber irgendwann ist eine Grenze erreicht.«
19
Nach einer Katzenwäsche zieht Lisa ihre Jeans und einen frischen weiÃen Pulli an. Sie beeilt sich, denn es lässt ihr keine Ruhe, dass Anouk mit Kreuger allein ist. Rasch fährt sie sich mit den Fingern durchs Haar, dann läuft sie die Treppe hinab. Auf der untersten Stufe hört sie von drauÃen ein Motorengeräusch.
Sie hält den Atem an und versucht, durch das Mattglas der Haustür etwas zu erspähen. Ist es Menno? Oder ihre Mutter?
Bitte ja, fleht sie innerlich! Nein, um Himmels willen, bloà das nicht!
Zwischen Hoffen und Bangen wartet sie darauf, dass auch Kreuger das Geräusch hört, aber es dringt offenbar nicht durch die geschlossene Zwischentür. Auf Zehenspitzen schleicht Lisa vorwärts.
Ein orangefarbener Schimmer hinter dem Glas: das Postauto!
Hilft ihr das weiter? Ihre Gedanken überschlagen sich. Solange die Haustür abgeschlossen ist, nicht
viel ⦠Der Postbote ist ein älterer, leicht schwerhöriger Mann. Wenn es sich ergibt, wechselt sie hin und wieder ein paar Worte übers Wetter mit ihm, was in der Regel darauf hinausläuft, dass sie ihre Sätze mehrmals laut wiederholen muss.
Der TNT-Wagen hält vor dem Haus. Lisa sieht sich nervös um. Bleistift, Papier? Sie muss einen Zettel schreiben, schnell!
Zu spät. Schon knirschen Schritte auf dem Kies, er kommt auf die Tür zu. Seine Silhouette zeichnet sich hinter dem Glas ab â ein rettender Engel aus einer anderen Welt, aber unerreichbar.
»Hallo! Hallo!«, ruft sie verhalten durch den Briefschlitz. Sie sieht, wie er in seiner Tasche kramt, und streckt die Hand ins Freie, um auf sich aufmerksam zu machen. Im nächsten Moment hört sie ihn lachen und bekommt Briefe in die Hand gedrückt.
Seine sich entfernenden Schritte klingen Lisa wie ein Trommelwirbel in den Ohren.
Deprimiert geht sie ins Wohnzimmer. Anouk sitzt am Esstisch und formt Tiere aus Knetgummi, Kreuger sieht ihr fasziniert zu. Dann fällt sein Blick auf die Umschläge in Lisas Hand.
»Post«, sagt er in einem Tonfall, als hätte er damit nicht gerechnet.
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Der Duft nach Schinkentoast und frischem Kaffee durchzieht den Raum. Es ist kurz nach halb zwei. Der Vormittag war verhältnismäÃig ruhig. Das Radio läuft, die Vorhänge sind nach wie vor geschlossen, und es ist schwülwarm im Haus. Lisa stellt fest, dass sie ruhiger
geworden ist. Die Angst, Kreuger könnte sie und Anouk umbringen, hat nachgelassen. Man ist zwar in Gegenwart eines Psychopathen niemals sicher, aber im Moment will sie nicht daran denken, dass der Mann, der ihr gegenübersitzt, seine Familie getötet hat, sondern lieber an den nächsten Vormittag. Dann kommt der Postbote wieder â¦
Nach einer Weile verlangt Anouk ihre Fingerfarben und ist kurz darauf völlig ins Malen vertieft.
»Emmelie war auch ganz verrückt auf dieses Zeug.« Kreuger beiÃt in seinen Toast. »Kaum war sie fünf Minuten damit zugange, hatte sie sich von Kopf bis Fuà vollgekleckert. Und den Tisch, den Stuhl und den FuÃboden.«
Das Bild entlockt Lisa ein Schmunzeln, doch dann sieht sie auf einmal ein totes kleines Mädchen vor sich.
Als könnte er Gedanken lesen, beginnt Kreuger zu erzählen. »Jeffrey und
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