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Revelations

Revelations

Titel: Revelations Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Fischer
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kaum, als sie den Raum betrat. Die junge Chinesin rollte sich mit einem Seidennachthemd bekleidet auf der ausgefahrenen Liege in Richtung der Tür. Die Bettdecke lag auf dem Boden neben ihr, zusammen mit einer leeren Getränkeflasche und einer umgekippten Schale Kartoffelchips. Dieselben Snackkrümel begruben Cassidy unter sich, die sich in einer dünnen Tagesdecke zusammengekuschelt hatte. Der gebürstete Couchtisch aus Edelstahl war übersät mit halbleeren Flaschen, Glasschüsseln und Speichermodulen aus Jiaos Musiksammlung. Den ganzen Raum erfüllte ein Duftgemisch aus Kartoffelaroma und Schweiß, das Angel an die hygienischen Zustände bei den Vultures erinnerte.
    »Habt ihr zwei nicht was vergessen?«, fragte sie und tippte dabei auf den mattschwarzen Chronometer an ihrem Handgelenk. Unter den Worten ihrer Ausbilderin riss Cassidy die Augen auf und fuhr aus den Federn.
    »Oh verdammt! Ist es schon Morgen?«
    »Allerdings! Macht doch mal eure Fenster auf!«, erwiderte Angel. »Ich weiß ja nicht, wie weit dieses Arnac weg ist, aber wenn wir vor der Mittagshitze ankommen und bei Tageslicht wieder heimkehren wollen, sollten wir uns vielleicht beeilen!«
    »Vi! Wie weit ist das? Schaffen wir das heute noch hin und zurück?«, rief Cassidy aufgeregt und sprang unbeholfen in ihre neue Jeanshose hinein. Jiao zog sich stattdessen frustriert das Kissen über den Kopf und tat so, als würde sie versuchen weiterzuschlafen.
    »Wie seid ihr beide denn drauf?«, murmelte sie dumpf, ehe sie aus dem Bett kroch und die zwei verständnislos ansah. »Mittagshitze? Heute noch zurück? Der Wagen hat Klima und in Arnac schlafen wir bei unserem Kontaktmann!«
    Grummelnd stieg sie von ihrer Liege herunter, schnappte sich ihre Waschtasche und schlurfte einem Zombie gleich an den beiden vorbei zum Flur hinaus.
     
    ***
     
Jiao ließ sich ganze sieben Minuten Zeit, ehe sie unter der Dusche hervorkam. Als Cassidy schon nach einer halben Minute das Wasser abstellte, neckte Jiao sie damit, dass sie nun den Grund für das penetrante Schweißaroma der Neuankömmlinge kennen würde.
    Angel wartete derweil ungeduldig vor dem Waschraum und fürchtete inzwischen ernsthaft um den Erfolg ihrer Aufklärungsmission. Sechs Wochen lang hatte sie Cassidy Disziplin und Selbstbeherrschung gepredigt, was Jiao offenbar innerhalb weniger Stunden zunichtemachen konnte. Immerhin wartete sie nicht allein, denn die dritte Dusche in dem besagtem Waschraum war defekt und vor der Tür hatte sich bereits eine kleine Schlange gebildet.
      Die erste gute Nachricht des Tages war, dass sich auch die Gäste in Maßen am Kaffee bedienen durften, weil er unter den Wissenschaftlern als Grundnahrungsmittel galt. Kim hatte beim Frühstück amüsiert festgestellt, dass die Gerüchte von der Kaffeesucht der präapokalyptischen Gesellschaft offensichtlich der Wahrheit entsprachen. Lediglich Jiao schien dem bitteren Heißgetränk nichts abgewinnen zu können und blieb bei ihrem eiskalten, prickelnden Zuckersirup.
    Der kleinwüchsige Koch wunderte sich etwas über ihre Großbestellung an Reiseproviant, da sie doch eigentlich allein zu den Sicarii fahren sollte. Ein unschuldiges Augenklimpern der attraktiven Asiatin genügte jedoch, um den Zwerg zum Schweigen zu bringen.
    Generell fiel Cassidy immer häufiger auf, wie erfolgreich Jiao ihre äußeren Reize einsetzte, um ihren Willen zu bekommen. Erstaunlicherweise schien sie dennoch keinen festen Freund oder Partner zu haben. Nichts in ihrem Quartier wies auf eine Beziehung hin, obwohl es durchaus ein paar ansehnliche junge Männer wie Leon und Sergej unter den Biosphärenbewohnern gab, dir ihr zudem jeden Wunsch von den Lippen ablasen.
    Als es schon fast Mittagszeit war, zeigte Angel energisch auf die Uhr. Auf dem Weg durch die Verbindungsröhren zum Ausgang flüsterte Jiao Cassidy scherzhaft zu, wie sie es mit der nervigen Barbarin nur so lange ausgehalten hätte.
    Kaum waren die drei unter freiem Himmel, schlug ihnen die drückende Mittagshitze ins Gesicht. Das Thermometer außerhalb der Basis zeigte beinahe fünfzig Grad im Schatten und Angel erinnerte Jiao daran, dass sie eigentlich schon vor Sonnenaufgang hatte aufbrechen wollen. Jiao zuckte lediglich mit den Schultern und tippte etwas auf den äußeren Bildschirm des Zugangsgebäudes ein. Sie konnten hören, wie sich der Aufzug entfernte, gefolgt von ein paar mechanischen Geräuschen, die am ehesten mit dem Verladen auf einem Güterbahnhof zu vergleichen waren.

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