Revelations
Anschließend kam der Fahrstuhl wieder näher, bis sich die massiven Stahlschotten erneut öffneten.
Nach und nach gaben die Türen den Blick auf einen verchromten Wagenkühler inmitten eines mattschwarzen Chassis mit rechteckigen, hochkant stehenden Scheinwerfern und einer stark abgedunkelten Frontscheibe preis. Vor ihnen stand mit mehr als fünf Metern Länge und fast zwei Metern Höhe ein wahrer Straßenkreuzer von einem Geländewagen, dessen riesige, silberne Felgen über Cassidys Knie hinausreichten. Die Lackierung wirkte gleichmäßig zerschlissen, so als wäre sie per Hand abgeschmirgelt worden, um dem ansonsten perfekt erhaltenen Fahrzeug das auffällig glänzende Äußere zu nehmen. Mit einem überlegenen Zwinkern drückte Jiao auf eine kleine Fernbedienung und ließ den angriffslustig grollenden Motor anspringen.
»Keine Bewaffnung oder Panzerung?«, fragte Angel.
»Du meinst sowas wie aufgeschweißte Stahlplatten und Zaungitter vor den Fenstern?«, erwiderte Jiao spöttisch und zeigte auf kleine Löcher in der Karosserie. »Der Wagen wurde vor dem Zusammenbruch von Regierungen genutzt und ist im Gegensatz zu den schaukelnden Eigenkonstruktionen der Sicarii professionell geschützt.«
»Wo habt ihr den denn gefunden?«, wollte Cassidy beeindruckt wissen.
»Wir? Gar nicht. Als in der McKnight Air Force Base alles Drunter und Drüber ging, hat es auch ein paar Politiker erwischt, die vor den ausbrechenden Unruhen dorthin geflüchtet waren. Bei unserem Auszug hat mein Vater den Wagen an einen der Hubschrauber gehängt und mitgenommen. Wir hatten mal zwei davon, aber der andere dient nur noch als Ersatzteilquelle«, erklärte Jiao und drückte dabei eine weitere Taste auf ihrer Fernbedienung, woraufhin sich das schwarze Ungetüm ganz von selbst aus dem Aufzug fuhr. Wehmütig erinnerte sich Angel an die durstigen Dieselmotoren der Humvees, die nur in Ausnahmefällen auf große Touren geschickt worden waren. Der monströse Luxusgeländewagen musste deren Treibstoffverbrauch jedoch noch bei weitem übertreffen.
»Wo bekommt ihr das Benzin für solche Spritschlucker her?«, fragte sie aus professioneller Neugier.
»Von unseren Ölquellen«, erwiderte Jiao im Affekt, hielt sich aber gleich danach die Hand vor den Mund. »Das ... habt ihr nicht gehört, okay?«
»Ihr habt ... was? Und auch noch mehrere!?«, platzte es aus Angel heraus. »Ist ja unglaublich! Alle Welt sitzt direkt am Tropf. Nur wir gehen natürlich leer aus!«
»Wart ihr etwa der Meinung, dass alle Ölfelder pünktlich zum Ende der Welt ausgetrocknet sind?«, sagte Jiao und zuckte hilflos mit den Schultern. »Menschen haben den Untergang der Menschheit herbeigeführt, nicht ein plötzlicher Temperaturanstieg oder Mangel an Erdöl. Das waren nur Nebeneffekte, von denen sich viele ablenken ließen. Der ganze Prozess hat ein Jahrzehnt gedauert und wir sind uns nicht mal sicher, dass auch wirklich alle Nationen untergegangen sind. Der Terroranschlag auf das globale Satellitennetzwerk hat die weltweite Kommunikation über Nacht in die Steinzeit zurückversetzt. Wer weiß, wie viele andere selbsternannte Imperien da draußen noch existieren.«
Jiao schloss die Aufzugtüren per Knopfdruck und führte Angel und Cassidy zum Heck des Geländewagens, während sie mit ihren Erklärungen fortfuhr.
»Die Sicarii betreiben selbst ein paar Ölförderanlagen. Bei den meisten ging damals lediglich die Effizienz so weit zurück, dass ihr Betrieb wirtschaftlich keinen Sinn mehr gemacht hat. Darum wurden die Anlagen kurzerhand abgeschaltet und anschließend in der Landschaft stehengelassen. Heutzutage will aber niemand mehr Millionen von Autos bewegen. Uns reichen zwei Hubschrauber völlig aus, denn der Wagen verbraucht eigentlich gar kein Benzin.«
Sie öffnete die Heckklappe, unter der vier große Gasflaschen zum Vorschein kamen.
»Der Motor arbeitet mit einer Wasserstoff-Brennstoffzelle. Den stellen wir per Elektrolyse selbst her, falls euch das etwas sagt. Dazu braucht man nur Strom und Wasser. Letzteres erhalten wir durch eigene Bohrungen bis in die Tiefe der Gletscherschmelze und für den Strom sammeln wir alle Solarkollektoren ein, die wir finden können.«
Dabei zeigte sie auf die umliegenden Berghänge, die buchstäblich mit Solarzellen zugepflastert worden waren.
»Ist nicht unbedingt effizient, aber es funktioniert. Der Panzer hat ebenfalls einen Wasserstoffantrieb. Nur die beiden Hubschrauber fliegen noch mit unseren spärlichen
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