Revierkönige (German Edition)
zwischen ihnen war nicht ohne Reiz, entsprach sie doch dem Ungewöhnlichen der Begegnung, der verhängnisschweren Verbindung zweier exotischer Wesen. Dabei war noch gar nichts! Sie träumte doch nur, steigerte sich in etwas hinein, was keinerlei Fundament besaß. Jeden Tag wartete sie auf ein Wunder. Während sie in ihrem Kellerstudio saß, schwere Lampen durch die Gegend trug, Filme zum Entwickeln brachte, mit ihrem Kollegen sprach, nach Hause lief, Geschirr abspülte, immer und überall begleitete sie das Gefühl, dass bald etwas geschehen würde. Es geschah aber nichts, das heißt: er rief nicht an. Unter dem Vorwand, ihre Großeltern zu besuchen, kehrte sie drei Monate später zurück, viel schneller als üblich. Den sorgfältig aufbewahrten Zettel mit seiner Telefonnummer nahm sie mit.
Ob er sich noch an sie erinnere, fragte sie, als sie ihn anrief. „Warum sollte ich mich nicht an dich erinnern?“, fragte er nach einer Pause wie ein langes Schweigen, in dem Platz für viele Gedanken war. Die Blödheit der Gegenfrage fiel Vera aufgrund ihrer Nervosität nicht auf. Auf ihre Frage, ob sie sich mal treffen sollen, antwortete er: „Ja klar, könnwer machen.“
Er wusste gar nicht mehr wie die Frau genau aussah, er erinnerte sich nur dumpf, dass er voll bis obenhin gewesen war. Sie verabredeten sich in einem Café mit runden Marmortischen und schwarz lackierten Stühlen, das bis zehn Uhr abends öffnete. Dass man nach sechs Uhr in einem Café sitzen konnte, war etwas absolut Neues und gab dem Ort schon dadurch einen Hauch von Fremdheit. Wenn man wollte, gaukelte man sich vor, dass man sich an einem dieser Ruhrgebietsstadt sehr fernen Ort befände, z.B. im Deux Magots oder in der Closerie des Lilas, auch wenn keiner der beiden wusste, wie es da wirklich aussah. Aber man konnte sich doch ein bisschen wie Jean-Paul und Simone fühlen.
Als sie zur Tür hereinkam, wusste er, dass sie es war. Fast war er enttäuscht, hätte aber nicht sagen können, was er sich eigentlich vorgestellt hatte. Vielleicht störte es ihn, dass sie zwei lange, rotbraune Zöpfe trug, vielleicht ihr Gesicht, dessen frische Farben für sich sprachen. Er konnte diese Frau nicht einordnen. Sie dagegen war eher angenehm überrascht. Sie sah einen ernsten, schwarz gekleideten Mann, größer und schlanker, als sie ihn in Erinnerung hatte, die gebleichten Haare trug er etwas länger. Sie bemerkte sofort die Gegensätze an ihm, etwas, das sie faszinierte und das sie gern in einem Foto festgehalten hätte: Er besaß ein klassisches Profil mit einer geraden Nase, die weit oben an der Stirn ansetzte, während sein Gesicht von vorn etwas Schiefes hatte, als harmonierten die einzelnen Gesichtsteile nicht. Und doch war es nicht diese Disharmonie, über die sie stolperte, sondern etwas, was dahinter lag. Während das Profil etwas Kühnes, vielleicht sogar Edles hatte, wirkte die Vorderfront grob, die Augen aber drückten, wenn sie nicht überheblich blickten, Misstrauen und Scheu aus. In der Erscheinung dieses Menschen, in seiner ganzen, Veras Atem raubenden, Präsenz, lagen Widersprüche, große und kleine, versteckte. Beide tranken sie den Kaffee schwarz und ein kleines Glas Wasser dazu. Es war, als gehörte man zusammen.
Sie erfuhr, dass seine Haare die Länge von 2 cm nicht überschreiten durften und alle zwei Wochen geschnitten wurden. Nach einer Stunde versank er in ihren grün schimmernden Augen, stellte sich ihr Haar offen vor und stellte sich überhaupt eine ganze Menge vor, während sie über ihre Fotografie redete. Sie lächelte auch nach innen, als er sagte: „Du sprichst mich einfach ganz visuell an“, schwächte das halbe Kompliment aber gleich ab, indem er hinzufügte: „Sonne Frau wie dich hab ich noch nie kennengelernt. Eigentlich stehe ich auf einen ganz anderen Typ.“ Sie wusste, dass sie bald, nicht heute, aber bald, mit ihm schlafen würde, obwohl sie es am liebsten sofort getan hätte. Es war die Art, wie er erzählte und sie dabei ansah, zurückhaltend und fordernd zugleich, eine Mischung, die sich warm in ihr ausbreitete.
Er erzählte flüssig wie ein Mensch, der viel redet, die grammatischen Fehler fielen in diesem Fluss fast gar nicht auf. Seine Arbeit als Schreiner habe er gekündigt, sagte er ohne Bedauern, und dass er genug habe von der Tretmühle und immer nur stupide Sachen machen. Er möchte etwas Künstlerisches machen, Möbel selber entwerfen und anfertigen. Sich nicht einengen lassen von dieser Gesellschaft, ein
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