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Revierkönige (German Edition)

Revierkönige (German Edition)

Titel: Revierkönige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Gerlach
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die Einladung zur Grausamkeit, Schmerz, der Abfall, das, wovor die Eltern sie beschützen wollten, aber nicht konnten, weil sie nicht das Gleiche sahen wie das Kind. Das Schrecklichste aber, was je passieren könnte, das wäre, allein durch diese Unterführung laufen zu müssen.
    Der saure Schwall, der auf den Boden platschte, war wohl das Zuviel an Bier, ein Gemisch, das der Körper nicht haben wollte, der Fraß und die Verzweiflung der letzten Stunden. Als sie atemlos den Kopf hob und nach Luft schnappte, blickte sie auf das Portal einer neugotischen Backsteinkirche. Der Tunnel lag hundert Meter hinter ihr. Sie sog den erdigen Geruch ein, alles war gut. Sie ging langsamer. Irgendwann überquerte sie die Straße, in der Olaf früher gewohnt hatte.
     
    Die Silvesterparty vor drei Jahren, das war ihr Schicksal. Daran hielt sie fest – Schicksal. Sie fügte sich in dieses Schicksal, als hätte sie nur darauf gewartet, und sie fühlte sich offensichtlich stark genug, um ein bisschen Selbstzerstörung in Kauf zu nehmen. Es lag nicht in ihrer Macht, etwas, was sich völlig unsinnig anließ, aufzugeben. Das wäre ja wie eine Geschichte, die anfängt und kein Ende hat. Sie wollte aber wissen, wie das Ende aussah, obwohl sie das weiß Gott nicht herbeisehnte. Vielleicht würde es gar kein Ende geben, immer nur ein Anfang und ein Stück Fortschreiten der Geschichte. Ein endloser Film, bei dem mal sie, mal er Regie führte, nur ihre Rollen, die waren immer gleich besetzt: Olaf und Vera, Vera und Olaf.
    Eine langweilige Party war das damals, mit halb- und ganz-alternativen Gästen, Doors-Hörern, BWL-Studenten und vielen Schüsseln Nudelsalat. Ihre Freundin Sabine knutschte um halb eins mit dem Mann ihrer Träume und ein neureicher Berufssohn hatte genug intus, um Vera anzuquatschen, obwohl ihre Miene deutlich ausdrückte, dass sie keinen Wert darauf legte. Sie litt unter den ungeschminkten Besserwissermienen und dem schlechten Atem ihres Gesprächspartners und wollte gehen. Plötzlich stand er da neben der Tür, sehr groß. Er trug einen schwarzen Anzug, der an ihm wie eingelaufen wirkte, aber einen eigenwilligen Kontrast zu seinen fast weißen, extrem kurzen Haaren bildete. Eine Frau mit roten Stehhaaren redete auf ihn ein, während er ironisch grinsend über den Pulk von Leuten hinweg genau zu ihr hin sah. Der erste interessante Mensch an diesem Abend, dachte sie. Es dauerte noch eine gute Viertelstunde bis sie sich so weit angenähert hatten, dass sie die ersten Worte wechseln konnten und Vera sich von diesem dunkelbraunen, halbernsten Blick verwirren ließ. Seine Körperlichkeit überraschte sie. Er wirkte, als hätte er sich ein zu großes Tierfell übergezogen.
    Die Olaf-Vera-Geschichte begann auch nicht anders als alle anderen Romanzen/Dramen/Ehen, bei denen man gern vom Unvergleichlichen, Ungewöhnlichen oder Magischen des Augenblicks überzeugt ist. „Was macht eine Frau wie du unter den ganzen Idioten hier?“ „Das frage ich mich auch.“ Das Anfangsgeplänkel überschritt die dafür vorgesehene Zeit nur um ein weniges, danach strich er mit seiner Hand über ihre Wange und wusste, dass er diese Frau liebte, auch wenn er sie nie wiedersehen würde. Er war ziemlich betrunken, aber etwas von seinem Wesen drang in sie, verband sich mit ihr. Dieses Wesen mochte sie, sie wollte es, wollte mehr davon. Die restlichen zweieinhalb Stunden der Party saßen sie auf dem Fußboden und redeten. Später wusste keiner mehr, worüber, sie wussten nur: Sie hatten sich ganz toll unterhalten. Das ist nicht zynisch gemeint. Letztendlich ging es ja um nichts anderes als um das Gefühl, das während des Gesprächs wuchs, dieses Gefühl, etwas Besonderes zu sein und etwas Besonderes zu erleben und endlich-endlich jemand gefunden zu haben, der einen verstand.
    „Ich bin ein Wurm“, murmelte Olaf und hätt´s gern dramatischer gehabt, aber er sah das Glitzern in den Augen der Frau neben ihm. Was war das überhaupt fürne Frau? Er musste sie immer wieder ansehen, um sich zu überzeugen, dass sie real war, ihre gesunde Gesichtsfarbe, und er, der blasse Existenzialist – also wenn das nicht zusammenpasste –, er musste sich ihr zu Füßen legen. Er kniete sich hin und legte seinen schweren Kopf vor die Spitzen ihrer Schnallenstiefeletten. Schwindel.
    „Ich bin ein Wurm!“
    Da hatten sie bereits jeder einen Papierfetzen mit einer Telefonnummer in der Hosentasche.
    Sie ahnte es: etwas Neues würde auf sie zukommen. Und die Distanz

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