Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Straße, ich bin zu Hause. Ich ziehe meinen Mantel fester um meinen Körper, aber das reicht nicht ganz, ich habe Gänsehaut, auch an den Armen. Machen wir uns nichts vor, interpretieren wir die Zeichen: Es ist an der Zeit für einen dicken Fußballpulli. Ich bin da eigentlich nicht der Typ für, ich hab keine einzige Fanklamotte, ich besitze nicht mal einen Schal. Aber ich bin jetzt achtunddreißig. Mir bleiben nicht mehr viele Jahre, um etwas zu ändern, bald werde ich stur und verschroben. Wenn, dann jetzt. Die Saison geht in die Schlussphase. Die Mannschaft legt sich ins Zeug wie verrückt. Eine Siegesserie liegt in der Luft. An so was muss man auch mal glauben.
Ich halte Kurs auf den Sankt-Pauli-Container. Ein niedriger Betonklotz mit schmutzigen Graffitis und halb heruntergelassenen Läden. Die schwere Stahltür ist wie immer bei Hamburger Wetter zu, ich muss ordentlich ziehen, um sie aufzubekommen. Drinnen stehen junge Leute mit schwarzen Frisuren und schläfrigen Augen hinter der Kasse, und die Kleiderständer und Regale sind vollgestopft mit allem, worauf man FC Sankt Pauli drucken kann. Ich lasse meine Finger über die Sachen wandern, über T-Shirts und Schals und Mützen in Schwarz, Braun und Weiß und manchmal auch Rosa, aber das finde ich albern. Hinten in der Männerabteilung hängt ein großes braunes Kapuzensweatshirt neben dem Spiegel, auf der Brust prangt ein fetter weißer Totenkopf. Ich nehme es vom Bügel und fasse es an. Hart von außen, weich von innen. Es gefällt mir. Ich ziehe meinen Mantel aus, hänge ihn über einen Kleiderständer und streife den Paulipulli über meinen Rolli. Die Frau im Spiegel ist größer, als ich dachte. Ihr dunkelblondes Haar fällt dick und schwer auf ihre Schultern, ihre Züge sind nicht wirklich hart, aber sie sind eindeutig, und obwohl um die grünen Augen herum ein paar Falten winken, sieht die Frau fast alterslos aus. Das ist nicht besonders deutsch. Das ist amerikanisch. Der Körper wiederum ist Hamburg. Hager, aufrecht und braun-weiß, zu großer Pullover bis zur Hüfte. Bin ich das? Ich bin mir nicht sicher. Was soll’s. Ich gehe zur Kasse und sage: »Kann ich den gleich anbehalten?«
Der Typ hinter der Kasse sagt: »Kannste.«
Über seinem Kopf hängt ein Schild an der Wand: Der FC Sankt Pauli ist schuld, dass ich so bin.
Tun wir’s für den Aufstieg.
Es ist kurz nach fünf. Ich sitze im Bademantel in meiner Küche und lackiere mir die Fußnägel. Ich habe die Hoffnung auf den Frühling wohl noch nicht aufgegeben. Und Klatsche hat gesagt: Wir gehen heute mal schick essen. Ich fasse es nicht. Ich habe einen Freund und mache Frauensachen. Ich muss über mich selbst lächeln, wirklich. Fehlt nur noch, dass ich ein Liedchen summe. Als ich mit dem linken Fuß durch bin, klopft es an meiner Tür. Klatsche war aber echt schnell, denke ich, stehe auf, freue mich, gehe zur Tür, mache auf und erstarre. Zandvoort. Ich bin barfuß, und wenn ich barfuß bin, fühle ich mich nackt, und wie ich ihn da so in meiner Tür stehen sehe, bekomme ich sofort Schiss und will die Tür wieder zumachen. Er kriegt den Fuß rein. Ich atme durch und mache die Tür wieder auf.
»Was wollen Sie hier?«, frage ich.
»Ich will mit Ihnen reden«, sagt er, es klingt gepresst.
Sein dunkler Anzug knittert ein bisschen, darüber trägt er einen hellen Mantel, der so gar nicht zu ihm passt, irgendwie ist der schmuddelig. Auf seiner Lippe stehen Schweißperlen. Er scheint nicht so cool zu sein wie sonst.
»Okay«, sage ich und lasse ihn rein. In der Sekunde, in der ich die Tür hinter ihm zugemacht habe, bin ich mir nicht mehr sicher, ob das eine gute Idee war.
Er geht schnurstracks durch den Flur ins Wohnzimmer, lehnt sich an die Fensterbank und wartet da auf mich. Er sieht mich finster an und macht keine Anstalten, zu reden. In Ordnung, dann bin wohl ich dran.
»Wo haben Sie eigentlich die ganze Kohle her?«, frage ich.
»Welche Kohle?«, fragt er.
»Die Kohle für Ihre schicke Wohnung«, sage ich, »für das dicke Auto, das Sie kaum fahren, für Ihr gutes Leben. So viel verdient man nicht am Theater.«
»Meine Frau war stinkreich«, sagt er. »Ihr Geld war das Beste an ihr.«
»Das ist nicht nett«, sage ich.
»Ach«, sagt er, und er spuckt ein bisschen dabei, »sie war nicht ganz dicht, genau wie ihr feiner Herr Sohn. Und sie hat gesoffen wie ein Loch.«
Er hält den Kopf gesenkt, sieht mich von unten an, irgendwie lauernd wirkt das, die Hände hat er krampfhaft in seinen
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