Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)
haben wir eine Gemeinsamkeit“, spottete Auriel schnippisch. Sie wollte noch einmal nachschlagen und dem Elfen endlich einen Hieb versetzen.
„Das sehe ich ähnlich“, erwiderte Rhavîn völlig gelassen. „Seht, Auriel. Dort vorn ist Nymion. Er scheint sich entschieden zu haben, sich uns jetzt anzuschließen.“ Der Waldläufer warf seinen weiten Umhang über die Schultern zurück. Erleichterung und Freude malten sich in seinen Zügen.
Auriel blickte auf und sah in etwa fünfzehn Schritten Entfernung ein Wesen, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatte. Ein Einhorn von beeindruckender Körpergröße stand zwischen den Bäumen. Es blickte mit leicht geneigtem Haupt genau in ihre Richtung.
Die Strahlen der Sonne spiegelten sich in seinem glänzend schwarzen Fell, wurden von dem gewundenen, silberblauen Horn des anmutigen Tieres in alle Himmelsrichtungen reflektiert. Ein langer, seidiger Schweif und eine wallende Mähne unterstrichen den beeindruckenden Anblick, den das magische Wesen darbot.
Bereits aus dieser Distanz vermochte Auriel zu erkennen, dass die Augen des Einhorns ebenso schwarz und beinahe seelenlos tief waren, wie die von Rhavîn. Die Zauberin spürte, dass dieses Wesen eine magische, undurchdringliche Aura ausstrahlte, die sie sofort in ihren Bann zog. Auf Anhieb wusste die Frau, dass das schwarze Einhorn eine unfassbare Macht besaß und unermesslich alt war. Es strahlte Ehrwürdigkeit und die Erfahrung etlicher Jahrhunderte aus. Noch dazu ein beispielloses Wissen von der Welt und ihrer Magie.
„Nymion“, flüsterte Auriel, die nicht zu begreifen vermochte, was sie in diesem Moment verspürte. Die Empfindungen, die ihr das Einhorn sendete, umfingen sie und tauchten in sie ein, als wollten sie die Hexerin von innen umschlingen. Die Hexerin fühlte, wie das Einhorn in ihren Organen bohrte, sich in ihre Gedanken fraß – mit einem einzigen Blick jeden Funken ihres Bewusstseins und ihres Wissens in sich aufsog und dabei lediglich einen kleinen, unscheinbaren Teil seiner selbst preisgab. „Ich kann ihn spüren!“ Auriel keuchte. Sie krümmte sich unter der beinah erdrückenden Macht, die das Einhorn auf sie auswirkte, während es sie innerlich abtastete. Matt brach sie in die Knie und fasste nach ihrem Herzen, als sie glaubte, dass es jeden Moment zerspringen müsse.
„Du bist eine Zauberin, Auriel“, erklärte Rhavîn sanft. Er fasste die junge Frau behutsam unter den Schultern, um ihr aufzuhelfen. „Du hast aufgrund deiner Kenntnis über die Magie die Empathie, die Macht Nymions wahrzunehmen. So wurde dir immerhin ein Teil von ihm offenkundig, während er nun jeden einzelnen deiner Gedanken kennt.“
Auriel blickte auf. Geschwächt sah sie ihn an. Rhavîn erkannte, dass ihre Augen von einem feuchten Schleier bedeckt waren. Er wusste, dass sein Freund beeindruckte und vor allem Zauberer bestürzte und faszinierte, da diese seine mächtige Magie körperlich und geistig zu spüren vermochten.
Nun ist also endgültig erwiesen, dass Auriel eine Zauberin ist. Mein Gefühl hat mich nicht getrogen, als ich sie heute früh dort schlummern sah. Und sie hat mir gegenüber die Wahrheit gesprochen , freute sich Rhavîn. Sein Gesicht nahm überhebliche Züge an. Ich werde sie vorzüglich für meine Pläne gebrauchen können. Sie ist in die schwarzen Künste der Menschen eingeweiht und dient den finstersten Gottheiten dieses Landes. Auch wenn sie selbst nicht bösartig wirkt und keinerlei Dunkelheit von ihr auszugehen scheint, wird sie sich vortrefflich auf allerlei schadenswirkende Magie verstehen. Auriel ist die beste Begleitung unter den Menschen, die ich mir hätte wünschen können. Wir werden den Auftrag erfüllen. Mein Fürst wird stolz auf mich sein.
Nymion regte sich keinen Schritt, er erwartete, dass Rhavîn und seine Begleitung zu ihm stoßen würden.
Auriel war vom ersten Moment an gefesselt von dem Anblick des schwarzen Einhorns, gleichwohl sich viele dunkle Mythen und Sagen um diese Wesen rankten, die ihr auch durchaus bekannt waren. Die junge Hexerin wunderte sich, dass ein Elf sich in Begleitung eines solch finsteren Wesens wohlfühlen, das Einhorn sogar seinen Freund nennen konnte.
Dem geringen Wissen entsprechend, das sie über Elfen besaß, hätte ein schwarzes Einhorn zu den größten Feinden der friedliebenden Waldbewohner gehört.
Da Rhavîn geradewegs auf Nymion zuging, folgte ihm Auriel in einigem Abstand. Sie fühlte Neugier und Faszination, aber auch Respekt und eine gewisse
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