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Rheingau-Roulette

Rheingau-Roulette

Titel: Rheingau-Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sia Wolf
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den Garten und über den Hof. Der leichte Sommerregen hatte sich zu einem wolkenbruchartigen Platzregen entwickelt. Blind vom herabströmenden Wasser und dem Schrecken, den sie soeben erlebt hatte, rannte sie drauflos. Sie drehte sich nicht um. Ihre Angst, Zeit zu verlieren und hinter sich Judith zu entdecken, die sie mit einer von ihrem eigenen Blut verschmierten Schere verfolgte, war unermesslich.
    Die Schmerzen im Bein nahmen zu und sie konnte nicht mehr richtig laufen. Sie quälte sich humpelnd weiter, bis sie die ersten Häuser des Dorfes erreichte. Sie wusste, dass sie Blut verlor und hinkte durch den ersten offenen Garten, den sie fand bis zur Haustür. Hektisch drückte sie auf die Türklingel und betete, dass jemand zu Hause sein möge. Die Tür wurde von einem jungen Mann geöffnet und Alexandra wurde schwarz vor Augen.

 
    „Frau Rabe?“
    Eine federleichte Stimme umschmeichelte ihr Ohr. „Hallo Frau Rabe, können Sie mich hören?“
    Alexandra öffnete langsam ein Auge. Sie blickte in das Gesicht einer hübschen jungen Frau, die sie anlächelte.
    „Hallo! Schön, dass Sie wieder bei uns sind. Wie fühlen Sie sich?“
    Alexandra leckte sich über die trockenen Lippen. Sie nickte. „Ganz gut, glaube ich.“ Ihre Stimme klang ähnlich spröde, wie sich ihre Lippen anfühlten. Vorsichtig sah sie sich um. Sie lag in einem Krankenhauszimmer. Neben sich sah sie die junge Frau und einen Infusionsständer. In ihre linke Hand war ein venöser Zugang gelegt, in den der Schlauch der Infusionsflasche lief. Alexandra bewegte sich leicht und stöhnte. Ihr Bein schmerzte. Die Ärztin nahm ihre rechte Hand und maß den Puls.
    „Ich bin Christiane Jung, Assistenzärztin hier im Krankenhaus. Sie wurden gestern Abend mit einer Stichverletzung im linken Oberschenkel eingeliefert.“
    Alexandra schüttelte den Kopf. Sie hatte eine Stichverletzung? Mühsam versuchte sie sich zu erinnern, aber es gelang ihr nicht. Sie war müde, unendlich müde. Die Stimme der Assistenzärztin erklang erneut neben ihr, ohne dass sie den Sinn des Gesprochenen erfassen konnte.
    „Sie haben viel Blut verloren. Aber Sie hatten auch Glück. Großes Glück. Sie haben bei einem Rettungssanitäter geklingelt, der eine optimale Erstversorgung eingeleitet hat.“
    Alexandra schloss die Augen. Glück. Sie hatte also großes Glück. Na gut, wenn das Glück war, dann konnte sie jetzt endlich schlafen.
     
    „Hallo Letzie.“ Zärtlich erklang Caros Stimme, als Alexandra die Augen öffnete. Verwirrt blickte Alexandra um sich. Krankenzimmer? Sie war in einem Krankenzimmer und Caro saß auf einem Stuhl neben ihrem Bett und sah sie liebevoll an. Der typische Geruch von scharfen Desinfektionsmitteln und Krankenhauskost, eine Mischung, die selbst gesunde Menschen krank werden ließ, zog durch den Raum.
    „Hallo Caro.“ Rau klang ihre Stimme, so, als ob sie lange nicht gesprochen hätte. „Kannst du bitte das Fenster aufmachen? Mir ist schlecht!“
    „Soll ich eine Schwester rufen?“
    Alexandra schüttelte den Kopf. „Nein. Ich brauche nur frische Luft.“
    Caro lächelte sie fürsorglich an und strich ihr zärtlich über den Arm. „Sollst du haben. Frische Luft bis zum Abwinken!“
    Sie stand auf, schob die Gardinen zur Seite und öffnete das Fenster. Die Luft kam warm herein, ohne wirklich erfrischend zu sein. Aber das war Alexandra egal. Allein das Gefühl, dass die Essensdüfte sich nach draußen verströmen, erleichterte sie und gab ihr das Gefühl, wieder Sauerstoff zu atmen.
    „Wie geht es dir?“ Caro setzte sich neben sie und sah sie forschend an.
    „Ich bin noch etwas durcheinander, aber sonst gut.“ Alexandra stöhnte ein bisschen. „Ich nehme an, du kennst den Grund, warum ich hier bin?“
    Caro nickte. „Du hast eine Stichverletzung im linken Oberschenkel. Aber mehr weiß ich nicht. Kannst du dich erinnern wie es passiert ist?“
    Alexandra nickte langsam. „Ja. Kann ich. Noch nicht an alles, aber das Wesentliche. Judith hat mir eine Schere in den Oberschenkel gerammt, als ich versucht habe, an ihr vorbei durch meine Küche zu fliehen. Sie hat mich bedroht.“
    Erschrocken sah Caro sie an. „Judith? Sie hat dich bedroht?“
    Alexandra schloss die Augen. „Lebt Hannes noch?“
    Caro schwieg. Alexandra öffnete schnell ihre Augen und sah zu ihrer Cousine. Tränen standen in ihren Augen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Caro sehr blass war und ein schwarzes T-Shirt trug. Ein T-Shirt, das sie nur im Trauerfall

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