Rheingau-Roulette
seufzend seine Hand sinken und trat einen Schritt zurück. Die Gelegenheit für Alexandra, sich aus dem Türrahmen zu stehlen und etwas Distanz zu schaffen. Sie machte einen Schritt in den Flur und blieb abwartend stehen. Hannes drehte sich schweigend zum Fenster und sah hinaus. Das Novembergrau des späten Nachmittags war in vorabendliche Dunkelheit umgeschlagen. Die Schreibtischlampe mit ihrem gelblichen Lichtschein war die einzige Beleuchtung im Raum und Hannes schmale, regungslose Gestalt spiegelte sich in den Fensterscheiben.
Alexandra wiederholte ihre Frage. „Was war in der Nacht mit Stella?“ Sie stellte die Frage noch mal, aber an und für sich wollte sie die Antwort nicht hören. Wenn es so war, wie sein Verhalten zeigte, dann hatte er die Nacht mit ihr so verbracht, wie sie es vermutete. Oder? Warum antwortete er nicht?
Er räusperte sich ohne etwas zu sagen.
Schweigend betrachtete sie ihn, wie er gedankenversunken und still vor der Fensterfront stand.
„Also dann. War’s das.“
Was auch immer in dieser Nacht mit Stella war - er wollte scheinbar nicht darüber sprechen. Und sie musste es wissen.
„Ich möchte abschließen und nach Hause.“ Sie flüsterte es. Ihre Stimme, die sich vorübergehend auf das Gespräch eingelassen hatte, wollte nicht mehr. Schweigend drehte sie sich um und ging in die Küche, um ihre Handtasche zu holen. Die Situation zwischen ihnen würde ungeklärt bleiben - mit dem kleinen Unterschied, dass er nun wusste, dass er Vater werden würde. Oder es jedenfalls annahm.
„Warte.“ Er kam ihr nach.
Abwartend stand sie in der Küche und sah ihn an.
„Es war nichts mit Stella. Jedenfalls kein Sex.“
Alexandra zog fragend die Augenbrauen hoch. „Was dann?“
„Ich brauchte ein Alibi.“
„Ein Alibi? Warum?“ Im gleichen Moment, in dem sie die Frage stellte, wusste sie die Antwort. Es zog ihr die Beine weg. Ihr Magen zuckte und ihre ständige Übelkeit wurde stärker, drängte sich in ihr Bewusstsein und vernebelte ihre Denkfähigkeit. Das war es also. Hannes war ein brutaler Gewalttäter. Der mutmaßliche Vater ihres Kindes überfiel alleinstehende Frauen. Sie ließ sich auf den nächsten Küchenstuhl sinken.
„Judith? Du hast Judith überfallen?“ Fast unhörbar klang ihre Stimme durch den Raum. „Warum?“
Er begann seinen ruhelosen Tigergang, den sie schon seit jenem Sonntagnachmittag auf seinem Hof kannte, durch die schmale Küche.
„Es war zu viel.“ Er raufte sich die Haare mit beiden Händen, auch eine Geste, die sie von ihm kannte. Kurz unterbrach er seinen Raubtiergang und sah sie mit einem verhärmten Gesichtsausdruck an.
„Franks Tod war endgültig zu viel.“
Hannes schwieg wieder. Die Stille, die sich über die Küche senkte, hatte nichts Friedfertiges. Sie war angespannt und verursachte eine Luft, die zum Schneiden dick schien. Bitter klang seine Stimme durch den Raum.
„Diese Frau hat nicht nur mein Leben zerstört. Sie hat das Leben meines besten Freundes gewaltsam und mit voller Absicht beendet. Sie hat mich gemeint und in Kauf genommen, dass es jemand anderen treffen könnte. Sie hat eine Firma mit all ihren Angestellten kaputtgemacht. Sie hat eine Familie mit zwei kleinen Kindern, einem Baby, das seinen Vater niemals kennen lernen wird und einer Frau ins emotionale und finanzielle Chaos gestürzt.“ Er ballte seine Fäuste.
„Sie hat dein Leben mit Angst und Stress überschüttet. Und sie hätte niemals damit aufgehört. Niemals, solange sie einfach so damit durchgekommen wäre. Und“, er stellte sich vor sie, „wenn sie gemerkt hätte, dass du schwanger bist, dann hätte sie dir das Leben zur Hölle gemacht. Dir und vor allem unserem Kind.“
Alexandra schluckte. Ihr Hals war trocken und schmerzte. Sie wusste, dass er Recht hatte. Nach ihrer Erfahrung mit Judith wollte sie sich nicht ausmalen, wie genau die Hölle mit ihr ausgesehen hätte.
„Aber sie lebt noch?“
Er sah sie entgeistert an. „Glaubst du tatsächlich, ich wäre zu einem Mord fähig?“
„Was soll ich denn denken?“
Er schüttelte fassungslos den Kopf und nahm den ruhelosen Gang durch die Küche wieder auf. Nach einer kurzen Pause blieb er stehen und sagte er leise: „Ja, natürlich lebt sie noch. Aber ich habe ihr sehr klar gemacht, dass sie sich niemals wieder in meiner Nähe aufhalten darf. Niemals im Umkreis von hundert Kilometern. Niemals mehr Kontakt aufnehmen darf. Nicht zu mir, zu dir oder zu sonst jemanden aus diesem Freundeskreis.“
„Wie
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