Rheingau-Roulette
Andauernd wurde er mit Küsschen und Umarmungen begrüßt und er kannte scheinbar wirklich jeden auf diesem Fest gut. Na kein Wunder. Wahrscheinlich war er seit seiner Geburt hier nicht mehr weggekommen. Krankenkasse. Alexandra stöhnte. Das fehlte ihr noch, dass jemand von der Krankenkasse hier den Womanizer gibt. Das letzte Telefonat mit dem Verein hing ihr noch immer in den Knochen. Am liebsten wäre sie diesem blöden Typen von Sachbearbeiter durch den Hörer an den Hals gesprungen, so hatte sie sich über dessen Ignoranz geärgert. Und jetzt sollte ein Stiesel aus einer Bauernkasse ein Womanizer und Partymagnet sein? Kopfschüttelnd verließ sie die Küche und ging in den Garten.
Sie stand an der improvisierten Theke und überlegte noch, was sie trinken wollte, als Arno neben ihr auftauchte.
„Schönste aller angeheirateten Cousinen, würdest du mir die Ehre erweisen, und den Eröffnungstanz mit mir tanzen?“ Mit einem treuen Augenaufschlag und geübtem Dackelblick griff Arno nach ihrer Hand und zog sie Richtung Tanzboden.
„Moment Arno“, Alexandra stemmte sich gegen ihn, „nichts lieber, als mit dir formvollendet über die Tanzfläche zu schweben, aber ...“
„... aber du willst dich nicht mit mir als bekanntermaßen schlechtestem Tänzer von Rangsdorf blamieren?“ Arno schaute sie abwartend an.
„Nein, noch viel schlimmer Arno.“ Alexandra lächelte ihn hilflos an. „Es würde ja schon reichen, dass du nicht tanzen kannst. Aber ich kann es auch nicht. Jedenfalls nicht richtig.“
Arno strahlte. „Perfekt. Los, auf die Tanzfläche mit dir. Jetzt bieten wir eine Show. Der schlechteste Eröffnungstanz aller Zeiten.“
„Arno, die Tanzfläche ist voller Menschen. Da muss nichts eröffnet werden!“
„Das ist mir doch völlig egal. Ich möchte jetzt mit meiner schönen erheirateten Cousine tanzen. Wann habe ich sonst schon die Chance, dir so nah zu sein und dir so tief in deine hübschen großen braunen Augen zu schauen?“ Arno ließ seine treuen Augen zu einem Dackelblick verschmelzen und sah Alexandra bittend an.
Ihre weiteren Proteste wurden von den ersten lauten Tönen der Band verschluckt und Arno zog sie auf den Tanzboden. Hilflos kichernd versuchte Alexandra, Arnos großen Füßen bei den Schrittfolgen auszuweichen und gleichzeitig den Takt der Musik zu halten. Gemeinsam stolperten sie albern und gut gelaunt zur Musik auf der Tanzfläche herum.
„Ich wusste, dass du nicht gut tanzen kannst, aber ...“ Alexandra versuchte die Balance zu halten, als Arno sie unvermutet in eine Drehung verwickelte.
„Aber, dass es so schlimm ist, wusstest du nicht, wolltest du sagen, oder ...?“ Arno grinste und neigte den Kopf an ihr Ohr. „Hat Caro aus dem Nähkästchen geplaudert?“
„Nein“, ächzte Alexandra, „meine Zehen! Sie werden demnächst abfallen, wenn du weiter so gnadenlos auf ihnen herumtrittst.“
„Sieht es eigentlich von außen betrachtet wirklich so schlimm aus, wenn ich tanze?“ Fragend schaute Arno auf Alexandra herab. „Ich meine, auch wenn ich mit einer Frau tanze, die es kann?“
„Nein, mein liebster Cousin. Es sind die schmerzverzerrten Gesichter deiner Partnerinnen, die darauf schließen lassen, dass es kein uneingeschränktes Vergnügen ist, mir dir zu tanzen.“ Mit leichter Schadenfreude im Blick lächelte Alexandra zu Arno auf.
„Hm. Ist dir die Hitze in deinen kleinen logopädischen Schädel gestiegen oder warum drückst du dich so gekonnt ‚gespreizt’ aus? Was ist das denn für ein Ausdruck ‚kein uneingeschränktes Vergnügen ...‘? Ich bitte dich – in meinen Armen ist alles ein Vergnügen. Uneingeschränkt! Frag meine Frau!“
Alexandra musste lachen. „Nein danke, so genau wollte ich es dann doch nicht wissen.“
Aber Arno war abgelenkt, sein Blick war auf die Theke gerichtet, an der sich eine kleine Gruppe halbwüchsiger Jungen und Arnos 6-jährige Tochter Natz an einem Bierfass zu schaffen machten.
„Augenblick mal, kleine Lieblingscousine, ich glaube, ich muss da mal gerade sehr schnell eingreifen!“
Entschuldigend schob er Alexandra in die Arme des vorbeischlendernden Hannes. Mit den Worten „Hier Hannes, tanz mal gerade weiter“, reichte er sie wie einen Pokal weiter und schwang seine langen Beine in schnellen Schritten zur Bar. Hannes nahm Alexandras Arme, die, gerade von Arno gelöst, noch in der Luft schwangen, und tanzte schwungvoll mit ihr in die Mitte des Tanzbodens.
„Hallo, ich bin Hannes“, lächelte er sie
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