Rheingau-Roulette
Arno eine große Staffelei aus Holz für Caro gebastelt, an der sie zukünftig ihre Bilder und Collagen gestalten konnte. Für den Anfang hatten die Mädchen schon eine Collage mit Bildern von sich begonnen, die Caro als Familienbildnis fertig stellen sollte. Als Alexandra Caro das Geschenk in die Hand drückte, fiel es ihr fast aus der Hand, so überrascht war sie vom Gewicht des Päckchens.
„Ooops, was ist denn das? Hanteln gegen die Huhus an den Armen?“
„Mama, was sind denn Huhus?“, fragte Natz und nahm neugierig das Päckchen in die Hand, um es gleich darauf mit einem überraschten: „Uff, ist das schwer!“ an ihre Mutter zurückzugeben.
„Huhus sind schwabbelige Oberarme“, grinste ihr Alexandra zu. „Betrifft aber nur alte Frauen ab dreiunddreißig Jahren ...“, und sagte ungeduldig zu Caro: „Pack‘s doch aus.“
Caro öffnete das Geschenkpapier und hielt ein großes, dickes Buch in der Hand. Ihre Stimme klang dünn.
„Alex, was ist das?“
„Ein Fotoalbum. Alles, was ich im Verlauf des letzten Jahres an Bildern von deinen Eltern auftreiben konnte. Oder genauer gesagt: im Verlauf der letzten drei Jahre. Eigentlich wollte ich dir das schon zum dreißigsten schenken. Aber es war nicht so einfach an die ganzen Bilder heranzukommen. Es hat alles ein bisschen länger gedauert als geplant.“
Still saß Caro auf ihrem Stuhl und blätterte langsam eine Seite nach der anderen um. Als sie das Hochzeitsfoto ihrer Eltern sah, liefen ihr die Tränen über die Wange. Sie legte das Buch vorsichtig zur Seite und umarmte ihre Cousine fest.
„Vielen Dank, Alex.“
Ihre Tränen tropften auf den Boden. Sie räusperte sich geräuschvoll. „Lieben Dank dafür. Das ist ein sehr, sehr schönes Geschenk.“ Sie sah ihre Cousine dankbar an und nickte. „Du konntest mir nichts Schöneres schenken.“ Caro drehte sich zu ihren Töchtern um. „Nein, du konntest uns nichts Schöneres schenken.“ Arno, wohl wissend, wie sehr seine Frau unter den fehlenden Andenken an ihre Eltern und ihre eigene Kindheit litt, trat an Alexandra heran, drückte sie fest an sich und flüsterte in ihr Ohr: „Lieblingscousine, du bist ein echter Schatz!“
„Wie hast du das geschafft?“, fragte Caro, das Album an ihr Herz gedrückt. „Wo hast du die ganzen Bilder her?“
Alexandra lächelte zufrieden, glücklich darüber, dass sie ihrer Cousine dieses Geschenk machen konnte.
„Ich war das nicht allein. Meine Eltern haben geholfen und Rafi auch. Wir haben überall recherchiert, wer noch Bilder haben könnte. Und alle verdonnert, es dir nicht zu verraten! Ich habe versucht, sie chronologisch zu ordnen. Aber es ist mir nicht ganz gelungen. Am Schluss ist es ein wildes Durcheinander von verschiedenen Schnappschüssen geworden, die ich nicht zuordnen konnte.“
„Da sind ganz viele Bilder dabei, die ich noch nicht kenne. Ach, Alex.“ Caro presste das Album an ihre Brust und schaute ihre Cousine dankbar an. „Was für ein wundervolles Geschenk! Und sogar Rafi hat geholfen!“
Alexandra musste lachen. Rafi war ihr Bruder Ralf, der, seit Caro in ihr beschauliches Leben am ehemaligen Grenzzaun getreten war, eifersüchtig die Verbindung seiner Schwester mit ihrer Cousine beäugte und jede Möglichkeit nutzte, sie zu ärgern.
„Ja, sogar Rafi hat geholfen. Ich glaube, er hat sich endlich damit abgefunden, dass es dich gibt!“
Die Tage der Woche flogen nur so dahin. Alexandras Maklerin hatte ihr verschiedene Objekte gezeigt und sie hatte sich nach ein paar Tagen Bedenkzeit für eine kleine Büroeinheit von drei Zimmern, einer kleinen Küche und zwei getrennten Toiletten entschieden. Der Mietvertrag lief ab dem ersten Juli, bis dahin mussten die letzten Arbeiten in dem Neubau fertig sein. Alexandra freute sich. Die Monatsmiete war günstig und die Praxis lag zentral im Ort. Nebenan war die Praxis eines Allgemeinmediziners und am Ortsende gab es eine Kinderarztpraxis. Keine schlechten Voraussetzungen für eine logopädische Praxis.
Sie zeigte den Krankenkassen den Umzug ihrer Praxis an und arbeitete Stück für Stück ihre Checkliste ab. Am Ende der Woche war sie so weit, dass sie ihre umfangreiche Bestellliste für Therapiematerialien bei ihrem bevorzugten Großhändler abgeben konnte. Angst um ihre wirtschaftliche Situation musste sie sich momentan noch nicht machen, dank ihrer guten Ausstiegsabfindung und dem Vermächtnis von Oma Liesel. Bis Juli hatte sie noch zwei Monate Zeit und nun konnte sie langsam Überlegungen
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