Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
Vom Netzwerk:
genommen und das Pferd getötet. Wenn einer
    ein oder zwei Schafe stiehlt, dann kann man ein Auge zudrücken, aber das...«
    Siglind kannte den dunklen Schatten, der sich um die blassen Augen ihres Mannes gelegt hatte. Sinfjotli war sein größter Stolz gewesen. Wenn er sie findet, wird er den Jungen nicht töten, dachte sie, und der kalte Stein der Angst in ihrer Brust erwärmte sich, als habe ihn die heiße Sonne angestrahlt. »Wirst du sie verfolgen?« fragte Siglind.
    »Morgen bei Tagesanbruch, und wir werden so lange nicht zurückkommen, bis wir wenigstens einen hängen können.« Siglind hoffte, Siggeir werde nur frauliche Empfindsamkeit in dem Zittern ihres schwachen Lächelns sehen. Sie legte den Kopf an seine Schulter, um das Gesicht zu verbergen. »Du wirst vorsichtig sein, nicht wahr«, sagte sie leise. »Wie viele deiner Männer nimmst du mit?«
    »Alle Krieger, aber die Bauern sollen deshalb nicht ihre Arbeit unterbrechen müssen. Uns kann so wenig geschehen wie Jägern, die Wölfe jagen.«

    *

    Siglind lag noch lange wach, nachdem Siggeir eingeschlafen war. Sie starrte auf das schwache Sommerlicht, das durch den Rauchfang fiel, und wünschte, sie könne Sigmunds Schwert umfassen, um ihren Bruder zu warnen, aber seit Sinfjotli verschwunden war, schlief Siggeir nicht mehr so tief und fest wie früher. Und sie wußte, er würde aufwachen, wenn sie das Lager verließ. Sigmund, dachte sie beschwörend und sah im Dämmer des Sommerhimmels die Schatten der beiden Männer, die auf dem hohen Felsen zu sitzen schienen. Lichtlos schimmerten die Runen, die Sigmund in die Luft zeichnete. Hinter Siglinds geschlossenen Lidern leuchteten ihre eckigen Formen wie rote Schattenbilder.
    Hagalaz, »Heil«: das weißeste Weiß der Getreidekörner, 
    Welten, die Wotan in alter Zeit schuf, 
    Kristall ist Siechtum der Schlangen. 
    Nauthiz, »Not«: das Leid der gefangenen Jungfrau, 
    schwer zu ertragen, Hilfe der Helden, 
    der Nackte erfriert im Frost.
    Isa, »Eis«: die breiteste Brücke, 
    glitzert wie Glas, der Frost ist schön, 
    die Flußrinde bringt Tod der Menschen Feind.
    Jera, »Jahr«: die Ernte ist der Menschen Hoffnung, Fro Ing, der Fruchtbare, gibt viel, 
    ein gute Sommer bringt ein reifes Feld. 
    »Sigmund«, flüsterte sie stumm, »sei vorsichtig, mein Bruder, sei vorsichtig!« Aber das Schattenbild verblaßte bereits, und Siglind gelang es nicht, es zurückzuholen, sosehr sie sich auch bemühte.

    *

    Siggeir blieb mit seinem Trupp vier Tage weg. Bei der Rückkehr brachten sie zwei Leichen mit, wie es der Drichten versprochen hatte.
    Aber bereits von der Anhöhe sah Siglind, daß es zwei erwachsene Männer waren - der eine rotblond, der andere mit schwarzen Haaren. Siggeir ließ die Toten am Dorfeingang an der alten Eiche aufhängen, wie es hin und wieder mit Wölfen geschah, die Schafe gerissen hatten. Trotzdem war der Schrecken nicht gebannt. Einen halben Mond später ging Orn, der Lehrjunge des Schmieds, in den Wald, um Holz für Holzkohle zu sammeln, und kam nicht zurück. Drei Tage danach fanden Rorar und Guntormar das, was die Füchse von Orn übriggelassen hatten. In anderen Jahren kamen Händler im Sommer weit aus dem Norden mit Fellen und aus dem Süden mit wertvollen Waren. In diesem Jahr erschienen nur Fremde mit Schiffen in Siggeirs Halle. Während das Kind in ihr heranwuchs, richtete Siglind ihre Gedanken öfter und öfter auf Sigmund und Sinfjotli, die durch den Wald streiften und jeden überfielen, der sich auf den Wegen sehen ließ. Manchmal sah sie auch, wie die beiden Tiere jagten, sich vorsichtig an Hirsche heranpirschten oder Pfeile verloren, mit denen sie nach Vögeln schossen. Dann wieder rasteten sie inmitten der Blaubeerbüsche, die überall an den Berghängen wuchsen, und Siglind hörte den Runengesang des Eruliers, den Sigmund intonierte:
    Eihwaz, »Eibe«: der immergrüne Baum, Hüter
    der Flamme mit rauher Rinde, Freude von
    Grund und Boden, nur Wotan kennt seine Worte. 
    Perthro, »Frucht«: Schatz des großen Baums, 
    Saft aus den Wurzeln; Frauen hüten den Samen in sich, 
    Lose bringen den Kühnen Freude.
    Elhaz, »Elch«: das Geweih ist spitz, 
    Nur die Tapferen sind im Feuer-Ring unverwundbar,
     gefährlich sind die Krallen des Falken.
    Sowilo, »Sonne«: der Schild der Wolken, 
    Licht für das Land und Feind von Eis und Schnee, 
    die Seeleute fahren weit auf den Wellen. 
    Wenige Tage vor den Winternächten nach den ersten Schneefällen durchsuchte Siggeir mit

Weitere Kostenlose Bücher