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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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gespenstische Kälte strömte in seine Finger und zuckte wie ein eiskalter Blitz durch seine Arme, als er den Kopf des Eruliers in den Händen hielt. Sigmund mußte die Namen des alten Runenmeisters nicht rufen, wie er es so oft getan hatte. Er blickte diesmal nur in die schwarzen Augenhöhlen, in denen zwei kalte rote Funken zu glühen begannen, und lauschte den Worten, als Widukunds Kiefer sich öffnete und der Wind wie ein eisiger Strom aus dem Mund zu blasen begann. »Sigmund Wargaz-Bane, Wals' Sohn«, tönte er heiser durch seinen Kopf, »warum rufst du mich in dieser Nacht? Was hat deine Seele geschaut, daß du den Runenmeister um Rat fragst?«
    »Ich habe den Wälsung unter den Kindern meiner Schwester gefunden. Aber ich bin noch unsicher. Wieviel ist von der Seele seines Vaters in ihm?«
    »Er ist ganz wie sein Vater und auch ganz wie deine Schwester. Etwas anderes wirst du in ihm nicht finden. Was sonst willst du wissen?« »Was hat das zu bedeuten, was ich in dieser Nacht gesehen habe?«
    »Du hast die Wanderungen der Völker gesehen, so wie die Norne deiner Sippe bereits den Faden gesponnen hat. Der Wind, den sie bläst, entfacht das Feuer deines Ruhms. Du und deine Söhne, ihr werdet in diesen Kämpfen große Taten vollbringen, und die Lieder deiner Macht werden nicht vergehen, solange Midgard besteht. Dies haben die Nornen dir und Sinfjotli zugedacht, danach kommt dein Sohn
    Sigfrid von einer noch nicht geborenen Frau. Auch das Schicksal dessen, der ihn tötet, ist bereits besiegelt. Ihn bindet der Schwur seiner Sippe und der Sippe seiner Mutter. Dies ist der Knoten der Helden, der euch alle bindet. Was willst du noch wissen?« 
    »Was muß ich tun, um die Seele des Sohnes meiner Schwester zu prüfen, um ihn auf unsere Rache vorzubereiten?«
    »Wenn er dreizehn ist und ein Mann, sollt ihr zusammen als Waldläufer durch den Wald ziehen, um von Wotan zu lernen. Als Wölfe werdet ihr die Grenzen der Halle und des Feuers überqueren und in euch befreien, denn nur dann könnt ihr die Kraft gewinnen, das Schicksal zu deinen Gunsten zu wenden, und das Schwert von deinem Feind zurückerobern. Mit dem Berserkersegen von Wotan kann kein Schwert dich verletzen. Die wölfische Wut befreit dich von allen Banden, und das muß sein, ehe dieses Werk vollbracht ist.«
    Der kalte Atem des Eruliers versiegte, und die Funken in den Augenhöhlen des Schädels erloschen. Sigmund hüllte den Totenschädel in das Wolfsfell und legte ihn in die Kiste zurück; vorsichtig legte er das Amulett darüber, schloß den Deckel und fuhr mit dem Zeigefinger über die Schutzrunen. Dann dachte er über den seltsamen Rat nach, bis die Sterne über seinem Kopf weitergezogen waren und der kalte Wind den nahenden Morgen ankündigte. Er erhob sich und blickte zweifelnd auf den schlafenden Sinfjotli. Er ist ganz wie sein Vater, hatte der Erulier gesagt. Konnte Sigmund ihn dann in seine Sippe aufnehmen? Was für ein Unheil würde die Wälsungen treffen, wenn er den Sohn seines Feindes mitbrachte? Doch der alte Runenmeister hatte auch erklärt, ohne diesen Jungen könne die Rache nicht vollzogen werden. So sei es denn, dachte Sigmund, das Schicksal muß seinen Lauf nehmen.
    Sigmund blickte nach Osten, als sich der rote Glanz des Morgens am heller werdenden Himmel ausbreitete und bald zu rosa überhauchtem Gold wurde. Auf dem Gipfel des Berges und auf der Grenze zwischen Nacht und Tag streckte er die Hände über die unsichtbaren Flammen nach Sinfjotli aus, der von seinem Steinsitz aufsprang, sie ergriff und in den geweihten Ring trat.
    Sigmund benetzte den blonden Kopf des Jungen mit dem Quellwasser. Die Tropfen glänzten im morgendlichen Licht wie leuchtender Tau. Dann hob er den Jungen hoch und hielt ihn in alle acht Winde. Er nahm sein Schwert ab und legte es dem Sohn seiner Schwester um. »Dieses Schwert ist mein Geschenk«, sagte er. »Hüte es gut, denn ich werde kein Schwert tragen, bis ich mein eigenes zurückgewonnen habe.«
    Sinfjotli zog das Schwert aus der langen Lederscheide. Die ersten Sonnenstrahlen brachen sich auf der Klinge, als er es über dem Kopf kreisen ließ. »Ehre sei den Göttern und Göttinnen!« rief er mit heller klarer Stimme, »ich bin Sinfjotli, ein Sohn aus der Sippe von Wals. Sieg unserer Sippe!«
    Sigmund goß den Met in das mit Runen verzierte Trinkhorn und hielt es der Sonne entgegen. Dann zeichnete er die drei ineinanderverwobenen Dreiecke des Walknotens über dem Met und leerte das Horn zur Hälfte. Die

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