Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
Vom Netzwerk:
mit der Nacht, der Stachel weckt den Schlafenden.
    Othala, »Grund und Boden«: des Vaters Reich, für jeden eine Freude, dem es überlassen wird, der Hof versperrt dem Wolf von innen den Weg. 
    Als die zuckenden Fackeln der leuchtenden Farben im hellen Licht verblaßten, das an den winterlichen Himmel zurückgekehrt war, weil die Pferde der Sonne sie hoch über den Horizont zogen, konnte Sinfjotli die Runen singen. Und er kannte mehr als drei Dinge, für die er eine Strophe benutzen konnte; außerdem lernte er allmählich, die Runen zu Zeichen der Macht zu verbinden. Außerdem konnte er sie schnitzen und mit rotem Ocker oder notfalls mit dem eigenen Blut färben. Als die Tage endlich wieder länger als die Nächte wurden und der Mond am heiligen Eostre-Tag zum ersten Mal in diesem Sommer voll und rund am Himmel stand, ging Sigmund bei Sonnenuntergang mit Sinfjotli auf den Gipfel des Berges. Sie nahmen ihren letzten Met mit und ein rundes Eibenholz, in das Sigmund Runen geschnitzt hatte, außerdem die Kiste mit dem Totenschädel des Eruliers und einen Krug, den Sigmund am Morgen an der Quelle des Bachs gefüllt hatte.
    Es blies ein kalter, scharfer Wind. Die Sonne versank in zornigem Rot, als die beiden Wälsungen auf dem Berg standen und jeder der beiden einen Flammenkreis um sich zog und die Namen der Runen sang. Die Verse leuchteten unsichtbar in der dunklen Luft, und Sigmund spürte durch den Felsen hindurch einen schwarzen Wirbel aufsteigen und in seine Füße dringen, der ihn mit der Erde verwurzelte. Einen Augenblick lang schwebte er zwischen den Himmeln und den Tiefen und blickte in die endlose Weite der Neun Welten. Sigmund setzte sich langsam auf die Erde, atmete tief und versank in Trance. Er verschloß sich Sinfjotli und nahm die staunende Erregung des Jungen nur wie einen nebligen Fleck am Rand seiner Sinne wahr. Über ihm glitzerten die Sterne. Die Mondpferde mit den reifbedeckten Mähnen zogen die kalt leuchtende Kugel über die funkelnde schwarze Bahn. Sigmund spürte, wie die Schlange unter ihm sich unruhig wand und an den Wurzeln des Weltesche nagte. Der Flügelschlag des großen Adlers Hraiwiswelg, des Leichenfressers, entfachte einen kalten Wind. Er saß auf dem östlichsten Ast der Weltesche und ließ die Blätter des Baumes immer stärker rauschen, und ihr geflüsterter Atem schwoll langsam an zu einem großen Sturm, der alle Fluten von Midgard aufwühlte - Kriege tobten und endlose Schlachten wurden geschlagen. Wie aus großer Ferne hörte Sigmund unheimlich wie die Stimmen von Trollen die gellenden hohen Schlachtrufe eines seltsamen Feindes, der mit dem Sturm aus Osten dahinjagte und die großen Stämme vor sich her trieb. Das Wasser der Schicksalsquelle an den Wurzeln der Weltesche strömte auf gewundenen Pfaden durch alle Welten. Sigmund sah den Strom seines eigenen Schicksals; er glänzte weiß, mischte sich mit brennendem Gold, verebbte, stieg von neuem an in strahlendem Heldenrot, kreuzte den Weg eines der vom Sturm erfaßten Stämme und verwob sich so eng mit ihm, daß Sigmund sie nicht mehr voneinander trennen konnte, und schimmerte schließlich in einer glänzenden Schwärze, die Sigmund in den Augen schmerzte. Die Bäche, die den drei Quellen entströmten, verbanden sich zu den drei ineinander verwobenen Dreiecken von Wotans Zeichen, dem Walknoten.
    Mit diesem Knoten der Gefallenen band der Gott die Seinen bei der Geburt an sich. In seiner Mitte glühte ein winziger goldener Drache, der sich um einen Rubin wand, in dem ein weißer Stern funkelte. Sigmund blinzelte, um das helle Nachbild zu vertreiben, als die Vision in der Dunkelheit verschwand. Er atmete heftig, als sei er aus tiefem Wasser aufgetaucht. Außerhalb seines Kreises sah er Sinfjotli sitzen, der das Kinn auf die Hände stützte. Das schmale Gesicht des Jungen lag im Dunkeln, Sigmund spürte seinen unglücklichen Blick. Die Sterne verrieten Sigmund, daß es bald Mitternacht war. Er lächelte verstohlen, setzte sich etwas bequemer und rieb seine eingeschlafenen Füße, bis das Blut wieder kreiste. Er hatte fast damit gerechnet, daß Sinfjotli zur Höhle zurückgelaufen war; doch jetzt würde die Geduld des Jungen belohnt werden. Aber zuvor wollte Sigmund eine Antwort auf die Frage, die ihn seit langem quälte. Er öffnete langsam die Kiste des Eruliers, nahm das goldene Amulett heraus und legte sich die goldene Kette um den Hals; dann breitete er das Wolfsfell auf den Boden und hob den Totenschädel von Widukund hoch.
    Die

Weitere Kostenlose Bücher