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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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sollten wir uns in diesem Land schützen? Wotan und die Fäden der Nornen haben uns hierher geführt. Wir müssen den Augenblick nutzen, so wie er sich uns bietet.«
    Sigmund holte tief Luft, breitete das Wolfsfell aus und steckte den Kopf durch den Schlitz in dem langen Hals und die Hände in die schmalen Pfoten. Das heiße Prickeln der Fellhaare lief durch seine Adern und beschwor das Wolfswesen, das dicht unter seiner Haut lag und sich jetzt nach außen kehrte.
    Sigmund glaubte, auf der Zunge wieder das Blut der Wölfin zu schmecken, als die wilde Trollkraft ihn erfaßte. Ein lautes Heulen entrang sich seiner Kehle. Er konnte sich nicht länger beherrschen, sank auf die Pfoten und knurrte und heulte das sich drehende Mondrad an, das als brennendes Weiß durch seine schmalen Augen fiel und in seinem Kopf aufflammte, bis kein Gedanke mehr in ihm war und er blindlings mit dem Wolf an seiner Seite durch den nächtlichen Wald rannte. Der Mond machte ihn trunken wie der vom Met geschwängerte Wind in seinem Maul und der warme köstliche Geruch eines Elchs, der näher und näher kam, als er der Fährte in wölfischer Wut folgte. Er sah den großen Schatten zwischen den Bäumen, und im nächsten Augenblick griffen er und Sinfjotli den Elch an. Sie waren zu schnell, und der Elch konnte die Wölfe nicht mit den Hufen oder dem Geweih abwehren. Sie verbissen sich in seinem Fell; heißes Blut lief ihnen in das Maul, als sie das weiche dunkle Fleisch in großen Brocken aus dem Elchleib rissen. Sigmund hob den Kopf. Das Blut lief ihm von der Schnauze die Kehle hinunter, und er heulte in wildem Triumph. Als das Fleisch der Beute die Wolfsseele sättigte, die ihn überwältigt hatte, wußte Sigmund, daß er noch nie in seinem Leben so in vollem Einklang mit sich gehandelt hatte. Sinfjotli saß auf dem zerfetzten Elch, hob den blutigen Kopf und erwiderte Sigmunds Heulen. In seinem wortlosen Ruf hörte Sigmund dieselbe Wut, die auch in seinen Adern brannte. Zusammen sprangen sie wieder in den Wald und rannten weiter gegen den Sturm, der ihnen das Fell an den Rücken drückte und die Luft von den Mäulern riß. So liefen sie, bis der Morgen graute, der Sturm sich legte und sie schließlich keuchend am Waldrand standen, dessen Rot, Gold und Braun zu den schattenhaften Grautönen der Dämmerung ihrer wölfischen Augen geworden war. Vor ihnen lag ein Feld mit trockenen Halmen. Das Getreide für den Winter war gedroschen, und das Julbier wurde bereits in den Hütten gebraut, die unterhalb der Halle standen. Sigmund witterte Siglind, die hier vorübergegangen sein mußte. Der Geruch war dem seinen so ähnlich, aber es mischten sich in ihn die Fraulichkeit einer Mutter und die dunkle Schwere von Kummer. Er roch auch die mistverschmierten Stiefel der Bauern und den Schweiß der Männer, die mit den Schwertern übten. Die saure Fährte von Siggeir bohrte sich ihm wie ein spitzer Dorn in die Augen. Er sah verschwommen die grauen Gestalten der Bauern und ihrer Frauen im Dorf. Sinfjotli und Sigmund liefen in den Wald zurück, bevor jemand die beiden Wölfe zu Gesicht bekam.
    Sinfjotli knurrte, und Sigmund hörte den Sohn seiner Schwester so klar und deutlich, als habe er wie ein Mensch gefragt: »Was nun? Sollen wir warten, bis Siggeir die Halle verläßt, um über ihn herzufallen? Er und seine Leute können uns nichts anhaben, wenn wir sie mit unserem Angriff überraschen. Bestimmt sind nicht so viele Männer in seiner Nähe, daß wir nicht mit allen fertig werden.«
    »Nein«, erwiderte Sigmund in der Sprache der Wölfe, halb knurrend, halb gesprochen, »es steht nicht geschrieben, daß ich ihn mit Zähnen und Krallen töten werde. Ich muß zuerst mein Schwert zurückgewinnen. Nein, wir bleiben im Wald und werden Menschen überfallen. Jeder von uns soll mit sieben Männern kämpfen, aber nicht mehr. Wenn einer von uns auf mehr stößt, soll ihm der andere zu Hilfe eilen.«
    »Ich kann es mit mehr als sieben aufnehmen«, erwiderte Sinfjotli. Seine Nackenhaare sträubten sich, und er ließ die Zunge aus dem Maul hängen. »Warum soll ich dich um Hilfe rufen?«
    »Weil du jung und kühn bist. Die Menschen werden Jagd auf dich machen«, knurrte Sigmund, richtete ebenfalls die Nackenhaare auf und stand drohend vor dem kleineren Wolf. Sinfjotli sprang ihm an die Kehle. Sie rollten schnappend und knurrend über den Waldboden, bis sich schließlich der jüngere Wolf unter Sigmunds Gewicht nicht mehr bewegen konnte und zum Zeichen der Niederlage den

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