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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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brennende Flüssigkeit glühte in seiner Kehle wie die Sonne, als ihm die heilige Kraft des Tranks in den Kopf stieg; danach reichte er das Horn Sinfjotli. Der Junge trank schnell. Die Röte stieg ihm ins Gesicht, und er mußte ein Husten unterdrücken. Er rang nach Luft, als er Sigmund das Horn zurückgab, der feierlich rief:
    Wir weihen den Met den Mächtigen damit wir zu den Helden des Schicksals werden und das gewinnen, was unser Wille ist!
    Er goß den Rest Met in einem goldenen Bogen auf die Erde. Einen Augenblick standen er und Sinfjotli schweigend und regungslos in der Sonne. Dann umarmte Sigmund den Sohn seiner Schwester. Sinfjotli erwiderte die Umarmung. Tränen der Freude schimmerten wie schmelzendes Eis in seinen himmelblauen Augen, und Sigmund spürte das leichte Zittern der Erleichterung des Jungen. Plötzlich wußte er, daß Sinfjotlis Seele durch Zauber oder Götterwerk vaterlos geblieben war und er nur seine Mutter gehabt hatte, bis er ihn als seinen Sohn anerkannte. »Er ist ganz wie sein Vater«, hatte der Erulier gesagt. Was hat das nur zu
    bedeuten, dachte Sigmund, ohne eine Antwort auf diese Frage zu finden.
    Im kalten Morgenwind begann seine Nase zu tropfen. Er wischte sie sich laut schnaubend an dem Ärmel seiner Tunika ab und hob den Runenstab, um den Kreis zu öffnen, damit er und Sinfjotli zur Höhle zurückkehren konnten.

    *

    Sinfjotli wuchs heran. Sigmund unternahm mit ihm immer größere Wanderungen auf der Suche nach neuen Abenteuern und neuen Taten, um die Kraft des Jungen zu stärken und zu prüfen. Am Ende von Sinfjotlis dreizehntem Sommer war er größer als die meisten erwachsenen Männer und reichte Sigmund bereits über das Kinn. Er konnte mit dem Bogen so geschickt umgehen wie Sigmund, aber in anderen Waffen war er dem Älteren noch unterlegen. Als der Heilagmond das erste Eis brachte, die Birkenblätter gold und braun raschelten, Eiche und Ahorn im kalten Wind, der dem Sommer den Tod brachte, rot aufglühten, und die weißgefleckten hellroten Fliegenpilze im modernden Laub leuchteten, wußte Sigmund, daß er nicht länger zögern durfte. Er fürchtete die Prüfung, die der Erulier für Siglinds Sohn gefordert hatte, aber er hatte auch mit Ungeduld darauf gewartet. Der Mond rundete sich zum ersten Mal in diesem Winter, und das Blut der Jagdbeute lag in der Luft. Im letzten Winter hatten sie mit bloßen Händen gegen hungrige Wölfe gekämpft, und Sinfjotli hatte den Rudelführer erwürgt. Das große graue Wolfsfell lag jetzt über der Kiste mit dem Totenkopf des Eruliers. Sinfjotli wollte sich einen Umhang daraus machen, aber Sigmund hatte es ihm nicht erlaubt. Sigmund reichte das Fell nun wortlos an Sinfjotli und holte aus der Kiste das andere Fell aus der Grabkammer des Eruliers.
    Sinfjotli beobachtete Sigmund schweigend, aber Sigmund entging die starke Anspannung des Jungen nicht. Plötzlich ballte Sinfjotli die Fäuste und entblößte die blitzenden Zähne. »Komm mit«, sagte Sigmund. Sie verließen die Höhle und liefen den Abhang hinunter. Der Mond leuchtete weiß, als sie sich lautlos durch den schattenhaften Wald bewegten. Ihre großen Gestalten wanden sich bebend wie Wasser durch die Zweige, die nach ihnen griffen, während der Wind rauschend durch die Bäume fuhr und die Äste peitschte. Aus der Ferne drang ein Geräusch an ihre Ohren wie das Trappeln von Hufen eines Heers auf dem Weg in die Schlacht. Sie hatten den halben Weg zu Siggeirs Halle zurückgelegt, als Sigmund stehenblieb und sein Fell hochhielt. Es wehte im Wind. Die Krallen an den Pfoten und der buschige Schweif bewegten sich, als laufe ein Wolf durch die Luft. Sigmund wußte, wo der Schlitz im dicken grauweißen Unterbauch war, um sich das Fell überzustülpen.
    »Ziehen wir sie über?« fragte Sinfjotli, »ich warte schon lange darauf.«
    »Seit wann weißt du es?«
    »Seit damals, als ich dir begegnet bin. Ich habe dem Wolf in die Augen gesehen, als er mich ansprang, und ich wußte, daß du der Wolf warst oder meine Mutter.«
    Sie zogen Hirschwams und Hosen aus, lösten die Ledersandalen und warfen sie ins Gebüsch. Sinfjotlis Körper glänzte weiß im Mondlicht. Seine Muskeln wölbten sich wie blasses Eisen und schützten ihn gegen den kalten Sturm, der sie umbrauste. Der junge Mann stand mit dem Wolfsfell in der Hand wartend vor Sigmund. »Müssen wir noch etwas tun?« fragte Sinfjotli. »Sollten wir einen Schutzkreis bilden?«
    »Nicht wir müssen uns schützen«, erwiderte Sigmund, »und vor wem

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