Rheingold
Hals reckte. Sigmund schloß langsam die Zähne, bis sie Sinfjotlis Fell berührten, dann ließ er ihn los. Die beiden sprangen auf, schüttelten sich und liefen in unterschiedlicher Richtung davon. Es dauerte nicht lange, bis Sigmund Stiefel hörte, die auf gefallene Äste traten. Tiefe Männerstimmen hallten durch die kalte Luft, und das leise Bellen von Hunden, die neben ihnen liefen. Er kroch aus dem tiefen Unterholz und näherte sich ihnen vorsichtig, bis er sie mit seinen Wolfsaugen deutlich sah. Es waren viele Männer mit Speeren und Bogen. Einige trugen auch Schwerter und Dolche. Ein Hund mit einer Narbe über der Schnauze zerrte knurrend an der Leine, als er Sigmund witterte, aber der dunkelhaarige Mann, der ihn führte, riß ihn heftig zurück. »He, Faralik, wir sind noch nicht nahe genug an der alten Höhle«, rief er. »Ich habe keine Lust, heute Füchse mit dir zu jagen.« Die anderen Männer lachten, als machten sie sich über den Mann mit seinem bellenden Hund lustig.
Da stieß Sigmund ein lautes, schauerliches Wolfsgeheul aus. Ihr Lachen verstummte, und sie faßten die Speere fester. »Füchse?« sagte der ältere Mann, der ein Schwert trug und durch dessen graue Haare sich viele silberweiße Fäden zogen, »Agilar, das war ein Wolf und ganz in unserer Nähe. Dein Hund ist klüger als wir. Laß ihn los. Wir wollen sehen, was er aus dem Unterholz treibt, damit wir für den Eber in die richtige Stimmung kommen.« Die Hunde stürzten sich auf ihn und wichen wie Wellen zurück, die harmlos gegen eine Bootswand prallen. Sinfjotli tauchte neben ihm auf. Zusammen stürzten sie sich auf die Männer, deren Waffen ihnen nichts anhaben konnten. Die grauen Wolfsköpfe waren bald mit Blut bedeckt.
Zuletzt war nur noch der alte Mann am Leben. Er stand mit dem Rücken am Stamm einer Eiche und wehrte sich gegen sie mit dem Schwert in der einen Hand und einem Knüppel in der anderen. Seine grauen Augen richteten sich kurz auf Sigmund. Unter den Falten, die sein offenes, breites Gesicht mit den spinnendünnen Runen des Alters überzogen, kam der Mann Sigmund plötzlich irgendwie bekannt vor. Er erinnerte ihn an kühles Wasser und süßen Honig ... Awimundur... Sigmund legte den Kopf zurück und lachte. Der Mann erschrak und rief voll Entsetzen: »Karat Thonar schütze mich! Ich habe Freydis und Siglind geholfen, dich zu begraben. Kehre in das Moor zurück, du böser Geist!« Der Knüppel fiel ihm aus der Hand, als er nach dem Hammeramulett an seinem Hals griff. Sinfjotli sprang knurrend an ihm hoch und biß ihm in die Kehle. Awimundur sank tot auf den Boden.
Außer den beiden Wölfen lebte jetzt nichts mehr. Sie zitterten vor Erschöpfung nach der Wut, die sie hatte kämpfen lassen. Später wußte Sigmund nicht, wer von ihnen das Maul zuerst in die Leiber der Toten senkte, deren Blut ihnen salzig-süß vom Maul in die Kehle rann. Aber Sinfjotli und er fraßen gierig, bis sie satt waren und ihre Kraft langsam zurückkehrte. Dann trotteten die beiden Wölfe davon und ließen die zerstreuten Knochen und zerfetzten Leiber auf dem Weg zurück.
Im tiefen Unterholz suchten sie sich einen geschützten Platz, leckten sich sauber und schliefen. Das brennende Rad der Sonne stand tief am Himmel, als sie erwachten. Das helle Grau des Waldes wurde dunkler und zu schattigem Schwarz. Sie trennten sich wieder wie zuvor, und Sigmund ermahnte den Sohn seiner Schwester, ihn zu rufen, wenn er auf mehr als sieben Menschen stieß. Sigmund schnürte lange durch die Dämmerung, schnappte nach Mäusen und folgte den gewundenen Spuren von Hasen durch das gefallene Laub, wie es seiner Wolfsseele gefiel. Plötzlich hörte er in der Ferne Geschrei und Kampflärm. Flink drehte er sich um sich selbst, sprang mit großen Sätzen unter den Büschen durch die langen Schatten und näherte sich den Geräuschen und dem Geruch von frischem Blut, den ihm der Wind zutrug.
Er war noch ein gutes Stück vom Kampfplatz entfernt, als der letzte Schrei verstummte. Keuchend erreichte er kurz darauf Sinfjotli, der neben den Toten vor einem Baum lag - es waren mehr als sieben, vielleicht zehn oder elf und außerdem viele Hunde. Sigmund sah mit einem Blick, daß auch Sinfjotli nach dem mörderischen Kampf halbtot war. Blut lief aus einer großen Beule an der Seite des Kopfs. Und dann entdeckte er den Speer mit dem gebrochenen Schaft. Einer der Toten mußte so klug gewesen sein, Sinfjotli mit dem Holz zu schlagen, um so den Berserker zu verwunden, den kein Eisen
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