Rheingold
als er aus dem Dickicht ein leises Zischen hörte und die winzigen dunklen Augen des zweiten Wiesels sah, die ihn wütend anfunkelten. Das Wiesel hatte ein breites helles Blatt im Maul.
Sigmund wich hinter einen Baumstamm zurück und beobachtete das Wiesel von dort. Es hüpfte schnell aus den Büschen und legte dem anderen das Blatt auf die Kehle. Zu Sigmunds Verblüffung sprang das verletzte Wiesel sofort auf die Beine. Sie setzten ihren spielerischen Kampf fort und verschwanden schließlich im hohen, dichten Gras.
Sigmund lief schnell zu der Stelle und suchte das Blatt, das vom Hals des verletzten Wiesels heruntergefallen war. Als er es nicht finden konnte, folgte er der Spur des ersten Wiesels. Aber selbst ein wendiger schlanker Wolf konnte nicht dorthin, wo ein Tier zu Hause war, das mühelos in Kaninchenbauten drang. Schließlich stand Sigmund vor einem undurchdringlichen schwarzen Dornengestrüpp. Er schloß die Augen. Das Fell schützte ihn vor den spitzen Dornen, aber die Ranken gaben nicht nach, und auch die höchsten Sprünge brachten ihn nicht über diese natürliche Wand. Blutend und enttäuscht setzte er sich schließlich auf die Hinterläufe, und sein Geheul drang bis zu den Wolken, die am silbrigen Himmel dahinjagten. Ein Rabe kreiste über Sigmund, und ein krächzender Ruf jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Aber es war nicht der Rabe, der gerufen hatte, denn er trug etwas im Schnabel. Sigmund hob verwundert den Kopf und sah, wie der Rabe in langsamen Kreisen zur Erde niederschwebte. Im Schnabel trug er das gleiche blasse Blatt wie das, mit dem das Wiesel seinen Gefährten geheilt hatte. Schließlich schwebte der Rabe so dicht über seinem Kopf, daß sich sein Fell im Wind der schlagenden Flügel sträubte, und öffnete den Schnabel. Ein Windstoß erfaßte das Blatt, Sigmunds Kopf fuhr herum, und er packte das Blatt mit den Zähnen. Der Rabe stieg wieder in die Luft. Sein heiseres Krächzen hallte in Sigmunds Kopf, als er schnell zu der Höhle zurücklief.
Mit einem Satz sprang er über die Felsen und landete in der Höhle. Er drehte den schlafenden jungen Wolf von der Seite auf den Rücken und streckte seinen Hals, so daß die Wunde freilag. Dann legte er das Blatt auf die noch immer blutende Stelle, so wie es das Wiesel getan hatte. Sinfjotli streckte und reckte sich sofort. Langsam wich die Dunkelheit, in der er versunken war, und sein Bewußtsein kehrte zurück. Sigmund hob den Kopf und stieß ein Freudengeheul aus. »Was habe ich gesehen...«, knurrte Sinfjotli leise und unsicher. Er legte den Kopf von einer Seite auf die andere, als versuche er, die Bilder zu begreifen, die für den schmalen Wolfskopf zu gewaltig waren und für die die Wolfssprache keine Worte kannte. In der Sprache der Menschen, dachte Sigmund, würde es ihm nicht besser ergehen, wenn er versuchen wollte, über das zu sprechen, was er an Hellas Tor jenseits von Midgards Mauern gesehen hatte. Der junge Wolf sah die Beute, die Sigmund in die Höhle geschleppt hatte, und begann, sie gierig zu verschlingen. Noch immer hungrig, sprang er gegen das Regal, wo das geräucherte Fleisch hing, das polternd zu Boden fiel. Er legte den Kopf zur Seite und sah Sigmund entschuldigend an. Sigmund leckte ihm über die Schnauze. »Friß, soviel du willst. Wir werden den Winter über nichts brauchen.« Dann machten sie sich gemeinsam über die Vorräte her und zerbrachen mutwillig wie junge Wölfe das alte Gestell. Als Sigmund erwachte, stellte er fest, daß er wieder ein Mensch war. Das Wolfsfell lag lose auf ihm. Er zog den Kopf aus dem Wolfshals und weckte Sinfjotli, der sein Fell abstreifte und staunend die braunen Flecken um die Schnauze anblickte. Sigmund blinzelte zum blauen Himmel hinauf und blickte kopfschüttelnd auf Sinfjotlis goldblonde Haare und die dunkelroten Runen auf der Höhlenwand. Dann kauerte er sich fröhlich auf den Boden und drehte das Rundholz, bis winzige Rauchwölkchen von der glühenden Spitze aufstiegen und schließlich die ersten Flämmchen an den trockenen Blättern züngelten, die er behutsam zu einem Feuer entfachte. Als die Flammen in der Mitte der Höhle flackerten, griffen Sigmund und Sinfjotli nach den Wolfsfellen und sahen sich einen Augenblick lang fragend an.
»Sollen wir sie verbrennen?« überlegte Sigmund laut, »oder könnten sie uns später vielleicht noch einmal von Nutzen sein?«
»Ich glaube, wir werden die Felle nicht mehr brauchen«, erwiderte Sinfjotli. »Und ich bin sicher, selbst
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