Rheingold
wenn sie zu Asche verbrannt sind, werden wir nicht ohne sie sein. Aber ich möchte auf keinen Fall, daß ein anderer sie an sich nimmt.«
Sigmund meinte zu sehen, daß sich Sinfjotlis Augen zu Brunnen der Dunkelheit weiteten, als er sprach, und nickte stumm.
»So sei es denn«, sagte er schließlich.
Sie warfen die Felle in das Feuer. Sigmund lehnte sich zurück, als eine Welle der lichterloh brennenden Kraft, die volle Wucht der Wolfswut, ihn erfaßte. Er sah, wie auch Sinfjotli sich mit geballten Fäusten wand und mit den Zähnen knirschte, bis er die Kraft, die in seiner Seele wütete, zur Ruhe bringen konnte. »Jetzt mußt du dich ankleiden und bewaffnen«, sagte Sigmund, als der Sohn seiner Schwester wieder mit klarem Blick vor ihm stand. »Ich glaube, wir werden ohne schwere Lasten von hier fortgehen.«
»Und was wird aus dem Erulier?« fragte Sinfjotli. »Nehmen wir ihn nicht mit?«
Sigmund dachte über die Frage nach. Er blickte auf die Kiste, die vor der rückwärtigen Höhlenwand stand. »Ich glaube nicht«, sagte er schließlich. »Ich bin der Meinung, wir müssen ihn und die Beute, die wir im Laufe der Jahre zusammengetragen haben, in seine Grabkammer bringen. Dort werden wir ihn, wie er es verdient, in Ehren zurücklassen.«
Sinfjotli nickte ernst und war Siglind so ähnlich, daß Sigmund wieder überlegte, wie dieser Junge etwas von Siggeir in sich haben konnte. Aber der Erulier hat es gesagt... Er wehrte sich gegen den Schauer der Vorahnung und richtete sich entschlossen auf. »Aber der Grabhügel ist inzwischen verschlossen«, erklärte Sinfjotli plötzlich. »Wir werden ihn gewaltsam öffnen müssen.«
»Es gab einen Weg hinein und einen Weg hinaus, als ich auf den Erulier stieß«, erwiderte Sigmund. »Ich denke, wir werden auch diesmal einen Zugang finden.«
Beladen mit der Beute von fünf Jahren, der Kiste des Eruliers und gewappnet mit Helmen und Kettenhemden, gingen Sigmund und Sinfjotli durch den Wald. Sie freuten sich über die goldenen, braunen und roten Blätter, über die grünen Kiefern und die gelborangenen Pilze, die an den feuchten Baumrinden wuchsen. Es kam ihnen seltsam vor, die Fährten auf der Erde nicht mehr zu riechen. Jetzt sahen sie die braunen Zweige und den flammenden Sonnenuntergang in den Baumwipfeln, die für sie als Wölfe noch vor kurzem graue Schatten gewesen waren. Trotz des scharfen kalten Windes kamen sie schnell voran. Sie hatten dafür gesorgt, daß der Wald inzwischen zu einem Ort des Schreckens geworden war und die Menschen sich nur noch in großen Gruppen hierher wagten. Die Wälsungen würden jeden schon von weitem hören und mühelos ausweichen können. Zwei große Steine waren an der nördlichen Seite der Grabkammer herabgefallen. Trotzdem war der Durchgang für Sigmund und auch für Sinfjotli zu niedrig, um sich aufrecht hindurchzuzwängen. Sie krochen auf allen vieren durch das Loch, legten Gold, Silber und Felle sorgsam in das Grab und stellten dann die Kiste mit dem Totenschädel des Eruliers in die Mitte der neuen Grabbeigaben. Jeder nahm einen Stein und verschloß damit das Loch. Schließlich hatte Sigmund nur noch seinen Speer und Sinfjotli das Schwert. »Bist du bereit?« fragte Sigmund den Sohn seiner Schwester. »Ich bin schon seit fünf Jahren bereit«, erwiderte er mit dem herausfordernden Lächeln, an das sich Sigmund inzwischen gewöhnt hatte - wie sehr glich Sinfjotli damit ihm, als er damit geprahlt hatte, der beste Krieger seines Vaters zu sein. »Bist du bereit?« fragte Sinfjotli. »Das werden wir sehen«, antwortete Sigmund und warf den Speer in einem zischenden Bogen durch die Luft.
15
DAS URTEIL
Als Sigmund und Sinfjotli sich Siggeirs Halle näherten, wurden sie vorsichtiger. Stumm und schattengleich schlichen sie im Schutz der Bäume vorwärts und mieden die Pfade, die durch den Wald führten. Von weitem sahen sie Männer, die in Gruppen den Hügel hinaufzogen. Mit ihnen liefen oder ritten umringt von Kriegern Frauen und Kinder. Siggeir mußte jeden im Umkreis von mehreren Tagesritten in seine Halle geladen haben. Vielleicht wollte er dem Gerede, Unheil habe sich über das Land gesenkt, ein Ende setzen, denn die Greueltaten im Wald mußten sein Volk in Angst und Schrecken versetzt haben. An diesem Abend würden Sigmund und Sinfjotli ihn in der Halle nicht überwältigen können. Selbst als Wölfe hätten sie gegen die Menge seiner Gefolgsleute nichts ausrichten können. »Was sollen wir tun?« fragte Sinfjotli leise.
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