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Rheingold

Titel: Rheingold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Grundy
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»Warten.«
    Sie versteckten sich hinter einem Felsen. Sigmund atmete langsam und ruhig und spann seine Gedanken zu einem langen Faden, der ihn in Siggeirs Halle führte. Siglind stand mit gerötetem Gesicht an den Kochfeuern. Strähnen der goldblonden Haare hatten sich aus den aufgesteckten Zöpfen gelöst. Sie gab den eifrigen Mägden, den Bäuerinnen und Kindern, die alle bei den Vorbereitungen für das Fest halfen, ihre Anweisungen. Sigmund dachte an Alflad, die bei den Festen in der Halle seines Vaters ebenso gewirkt hatte; plötzlich überkam ihn das Heimweh und sprang durch das dünne Band, das ihn mit Siglind verband, über die Entfernung hinweg auf sie über. Sigmund öffnete die Augen und setzte sich etwas bequemer, lehnte mit dem Rücken an den Stein und wartete. Es dauerte nicht allzu lange, und sie hörten Schritte im trockenen Laub. Siglind hatte ihr Festgewand noch nicht angelegt. Sie trug ein einfaches Kleid, das vom Kochen Flecken hatte. Sie war so schlank und anmutig wie eh und je. Im Sonnenlicht sah man in den Zöpfen mehr Silberfäden als goldenes Blond, und Sigmund bemerkte auch die ersten tiefen Falten um die Augen. Er blickte verwundert von Siglind zu Sinfjotli. Nur der goldene Flaum um das Kinn unterschied sein Gesicht von dem der Mutter. Bei diesem Anblick durchzuckte ihn eine Ahnung, aber er schob sie entschlossen beiseite und sprang auf.
    Die Wiedersehensfreude ließ alle Falten aus Siglinds Gesicht verschwinden, als sie zuerst ihren Bruder umarmte und dann ihren Sohn. »Ist die Zeit endlich gekommen?« fragte sie atemlos. »Die Zeit ist gekommen«, murmelte Sigmund. »Dein Sohn ist ein erwachsener Mann. Ich könnte mir keinen besseren an meiner Seite wünschen. Freu dich, Schwester, denn bald werden wir weit weg von hier sein.«
    »Das werden wir«, stimmte ihm Siglind leise zu. »Wann wollt ihr es tun?«
    »Wir hatten nicht mit so vielen Menschen hier gerechnet«, gestand Sigmund.
    »Es ist das Fest, mit dem Freyja und Freyjar mit den Alben und Idisen geehrt werden. Um ihre Gunst und sein Amt nicht zu verlieren, muß Siggeir vor den Göttern und allem Volk seinen Wert unter Beweis stellen. Unter seinen Leuten herrschen starke Zweifel an seiner Kraft, da er den Wald nicht sichern kann. Und deshalb sollt ihr eure Möglichkeit haben. Folgt mir.«
    Siglind führte sie auf einem gewundenen Pfad durch die Bäume, bis sie den Hain aus Eschen und Birken erreichten, wo der geweihte Stein stand. Der Hain lag am Fuß eines kleinen Hügels. Ein breiter Weg zog sich um ihn herum. »Hier beginnt der Rundweg«, erklärte Siglind. »Siggeir und ich werden den Hain als letzte verlassen, während alle anderen außer Sichtweite auf uns warten. Der Fro und die Frowe müssen nach dem Segen immer noch einige Zeit allein bei den Göttern bleiben. Wenn er den Hain verläßt, könnt ihr ihn hier angreifen, denn dann ist niemand in der Nähe. Es bleibt euch Zeit genug, ihn zu töten und zu fliehen. Ich glaube, man wird euch nicht verfolgen, sondern seinen Tod als Beweis dafür ansehen, daß die Götter seine Herrschaft nicht mehr billigen. Aber es muß alles schnell und gezielt geschehen, denn er kommt von den Göttern, die ihn nicht im Stich lassen werden, wenn du ihn nicht besiegen kannst, Sigmund. Und er trägt dein Schwert an der Seite. Allerdings ist die Wunde an seinem Schwertarm, die unser Vater ihm vor seinem Tod beigebracht hat, nie verheilt, und er kann ihn nicht so mühelos heben.« Sinfjotli umarmte seine Mutter noch einmal, hob sie hoch und drehte sich mit ihr übermütig im Kreis. »Wie klug du alles bedacht hast, Mutter! Wir werden uns danach richten.«
    Siglind steckte ein paar Haare in die Zöpfe zurück, beugte sich vor und küßte ihren Sohn. »Ich bin stolz auf dich, Sinfjotli. Du bist ein echter Wälsung, mein Sohn.« Dann umarmte sie Sigmund. »Ich muß wieder zurück in die Halle, sonst wird man mich vermissen.«
    »Sei vorsichtig!«
    Die untergehende Sonne war eine rotglühende Scheibe hinter den fast kahlen Bäumen. Es wurde bereits dunkel, als der Wind Sigmund und Sinfjotli das Geräusch von singenden Stimmen und den Geruch vom brennenden Kiefernharz der Fackeln zutrug. Die beiden verließen eilig den Weg und versteckten sich hinter Büschen. Von dort konnten sie die vorüberziehende Menge sehen, ohne gesehen zu werden.
    Siggeir und Siglind führten die Prozession an. Siggeir trug einen Kranz rotgoldener Eichenblätter im grauen Haar. Tunika und Umhang waren dunkelgrün, die Hose gelb.

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